Habilitation March 2007 |
Inklusion/Exklusion Funktion
und Formen des Rechts in der spätmittelalterlichen Stadt. Das
Beispiel Köln, Habilitationsschrift (im Druck). Download Zusammenfassung: rtf-Format
/ pdf-Format Inhalt und Zusammenfassung: 1 Einleitung 2 Grundlagen 2.1 Theoretischer Ansatz 2.1.1 Zur Bedeutung der Gerichte für die mittelalterliche Stadt 2.1.2 ‚Person’ und ‚Genossenschaft’ in
der klassischen Soziologie 2.1.3 Thesen: Inklusion/Exklusion in Moderne und Vormoderne in systemtheoretischer
Perspektive 2.2 Analysewege und Quellengrundlage 2.2.1 Vorgehen und Aufbau 2.2.2 Quellen und Materialien 3 Überblick über die Gerichte in Köln 3.1 Das erzbischöfliche Hochgericht 3.2 Gerichtsgründungen und –übernahmen durch den Rat 4 Kommunikationsformen 4.1 Die Gerichte im städtischen Raum 4.1.1 Zur Kategorie ‚Raum’ 4.1.2 Die Verhandlungsorte des Hochgerichts 4.1.3 Ratsgerichte in der Stadt 4.2 Das Personal der Gerichte 4.2.1 Die Hochgerichtsschöffen zwischen Patriziat und 4.2.2 Richter als Deputierte des Rates, Urteiler, Laien und
graduierte 4.2.2.1 Ratsgerichte mit und ohne Urteiler 4.2.2.2 Professionalisierung? Laien und Graduierte als Deputierte 4.3 Gesten, Rituale, Sprache und Schrift 4.3.1 Das Hochgerichtsverfahren: ritualisierte Kommunikation und
Schrift............................................................................................... 4.3.1.1 Rituale, Sprachformeln, Eidhelfer und
‚Umstand’ 4.3.1.2 Schrift und Ritual 4.3.2 Die Ratsgerichte: Kommunikationsstrukturen im formlosen 4.3.2.1 ‚Disziplinierung’: Regeln für das allgemeine
Verhalten 4.3.2.2 Das Eindringen der Schrift in ein mündliches Verfahren 4.3.2.3 Die Schrift zwischen eigenständigem Diskursraum 5 Formen manifester Exklusion254 5.1 Stadtverweis und Aufsagen der Bürgerschaft 5.2 Corpus Corruptum – die Hinrichtung 6 Zusammenfassung 7 Anhang 7.1 Abkürzungen 7.2 Abbildungsverzeichnis 8 Quellen‑ und Literaturverzeichnis 8.1 Ungedruckte Quellen 8.2 Gedruckte Quellen und Regesten 8.3 Literatur 6. Zusammenfassung Abschließend seien die Ergebnisse der
Studie in einem Fazit gebündelt. Im ersten Kapitel wurde auf der Basis
soziologischer Studien zur mittelalterlichen Stadt und zur vormodernen
Gesellschaft die Leitthese entwickelt. Im Rückgriff auf Otto von Gierke und
Max Weber konnte in einem ersten Schritt festgehalten werden, dass schon
diese ‚Klassiker’ der Soziologie die Beziehung des Einzelnen zur
Schwureinung ‚Stadt’ als anders gelagert ansahen als das
Verhältnis von Individuum und Korporation in der Moderne. Etwas verkürzt lässt
sich zusammenfassen, dass eine Person durch ihren (meist über den Eidschwur)
erfolgten Beitritt in den genossenschaftlichen Verband einen Statuswechsel
vollzog und als integrales Ganzes in die Gemeinschaft eingeschlossen wurde.
Mit einer naheliegenden, insbesondere bei Ferdinand Tönnies akzentuierten
‚Sozialromantik’, die einer solchen Beschreibung innewohnen kann,
hatte sich schon Weber kritisch auseinander gesetzt, zugleich aber weiter das
grundlegend Andere der mittelalterlichen Verbände herausgestellt. Im Rückgriff auf die
Systemtheorie wurde dieser Ansatz weiterentwickelt und speziell für die
Analyse des Gerichtswesens in der spätmittelalterlichen Stadt fruchtbar
gemacht. Die Systemtheorie hat sich intensiv mit der Frage der
Vergesellschaftung des Einzelnen in Moderne wie Vormoderne befasst und beide
Formen einander konturiert gegenübergestellt. Ist davon auszugehen, dass
aufgrund der funktionalen Ausdifferenzierung der heutigen Gesellschaft das
Individuum jeweils nur noch partiell in den verschiedenen Teilsystemen Recht,
Wirtschaft, Kunst etc. integrierbar ist, so gilt für die
segmentär-stratifikatorische Gesellschaft der Vormoderne, dass eine vollständige Verortung des Einzelnen über ein Segment (eine Familie, einen
Verband) in eine Schicht erfolgte. Aber das Segment/der Verband – hier
die Stadt als Schwureinung – war nicht nur für die Inklusion, sondern
auch für eine mögliche Exklusion zuständig. Aus der
Zusammenführung der genannten Elemente wurde die These der Arbeit entwickelt.
Aus der integralen Vergesellschaftung des Einzelnen über die Schwureinung,
die schon von den Theoretikern der Genossenschaft, wenn auch unter anderen
Vorzeichen, angesprochen wurde, ergibt sich, dass sich ein Konflikt zwischen
Mitgliedern des Verbandes kaum je auf Sachfragen reduzieren lässt. Mit jedem
Streit wird auch die Ebene des Verhältnisses der Streitenden zum Verband
mitgeführt. Mit dem Konflikt an sich,
so die These, wird die In-Frage-Stellung der Mitgliedschaft virulent. Das
Gerichtswesen der mittelalterlichen Stadt kann dann als Diskursraum
verstanden werden, in dem über die Gefährdung der Mitgliedschaft verhandelt
wurde. Konzentriert auf Köln, wurden
unter dieser Perspektive die unterschiedlichen Facetten des Rechtswesens
untersucht. Ziel war es, an der Form der Konfliktbearbeitung in der
mittelalterlichen Stadt die prägende Bedeutung des Themas Inklusion/Exklusion
für das Gerichtswesen aufzuzeigen. Die Verortung der Gerichte im Stadtraum,
das Personal der Rechtsprechung, die Verwendung von Ritualen, Sprachformeln
und Schriftzeugnissen, schließlich Urteile wie Stadtverweis und Hinrichtungen
– sehr unterschiedliche Aspekte des Gerichtswesen der
spätmittelalterlichen Stadt – wurden mit dieser These als ‚rotem
Faden’ ausgeleuchtet. Dabei wurden sowohl das erzbischöfliche
Hochgericht wie die Gerichte des Rates in den Blick genommen. Die Klammer,
die diese Themenfelder verband, bestand in der Einsicht, dass Konflikte in
den mittelalterlichen Stadtgesellschaften die Frage der Zugehörigkeit zum
Bürgerverband tangierten, und dass dieser durch den Konflikt an sich
entstandene Zweifel an der Mitgliedschaft die Bearbeitung der Streitigkeiten
vor den Gerichten in entscheidendem Maße prägte. Mittelalterliche Gerichte
tagten in der Regel unter freiem Himmel, und dies gilt auch für die meisten
Kölner Einrichtungen. Bemerkenswert ist das, weil der Rat im 14. Jahrhundert
eine intensive Bautätigkeit entfaltete, ohne jedoch für eines seiner neu
gegründeten Gerichte ein Gebäude auch nur zu planen. Dabei war es keineswegs
so, dass alle Einrichtungen zur
Rechtsprechung unbehaust waren. Das Hochgericht, das Bürgermeister- und
Amtleutegericht auf dem Rathaus wie auch die Klagherrn tagten nicht im
Freien. Allerdings ließ sich für die ersten beiden Gerichte aufzeigen, dass
es sich bei ihrer Tagungsstätte nicht um einen Gerichtssaal im eigentlichen
Sinne handelte: Die Quellen nennen nicht etwa das Haus, in dem das
Hochgericht tagte, oder den Saal, in dem das Bürgermeister‑ und
Amtleutegericht arbeitete, als Gerichtsort. Anders als bei der kirchlichen
Gerichtsbarkeit, für die die gleichen Dokumente ‚den Saal’ als
Tagungsort angeben, war bei den in Gebäuden tätigen kommunalen Gerichten der
Raum ‚zwischen den vier Bänken’ der Ort der Rechtsprechung. Es
konnte gezeigt werden, dass hier die Raumkonzeption die gleiche war wie bei
den Stadtgerichten, die unter freiem Himmel amteten. Bei diesen Gerichten
machte die Art der Verortung im Stadtraum darüber hinaus deutlich, dass eine
Verknüpfung von Raum und Einrichtung selbst dort unterblieb, wo sie in
Häusern untergebracht war. Einen ‚Amtsraum’ – unabhängig
davon, wo sie untergebracht waren und anders als etwa bei den Finanzbehörden
oder der Schreibkammer – hat es für die Gerichte nicht gegeben. Ein
wichtiges Moment zur Ausformung einer aus dem kommunikativen Zusammenhang der
Stadtgesellschaft herausgelösten Einrichtung war ihnen damit nicht
beigegeben. Und offenbar ging es im Kern darum, die Gerichte in den Stadtraum
einzubetten statt herauszulösen. Dass es sich bei den Klagherren, die über
Zuständigkeitsfragen, insbesondere über die Zulässigkeit von Klagen vor dem
Offizial, zu entscheiden hatten, anders verhielt, dass die Quellen sogar über
die Innenausstattung des Raumes berichten, in dem sie amteten, konnte damit
erklärt werden, dass es sich bei ihnen nicht so sehr um eine juristische,
sondern eher um eine ‚politische’ Institution handelte. Die
Klagherrn operierten quasi an der Schnittstelle von städtischer und
kirchlicher Gerichtsbarkeit, zwischen innen und außen, und deshalb wies diese
Einrichtung andere Konturen auf. Das Prinzip
der Öffentlichkeit, das für die Erklärung der ‚Unbehaustheit’
mittelalterlicher Gerichte von der Forschung meist in Anschlag gebracht wird,
war in diesem Zusammenhang zu diskutieren. Dabei galt es, die –
ausgesprochen oder unausgesprochen – auch für das Mittelalter
angenommene Kontrolle der Justiz durch die Zuschauer zu hinterfragen, ist
eine solche Vorstellung doch zu eng mit dem Konzept der ‚räsonierenden
Öffentlichkeit’ der Moderne verbunden. Diese setzt aber voraus, dass,
wie in der Moderne, das Publikum dem Prozessgeschehen als eigene
‚Instanz’ gegenübertritt. In Anknüpfung an rechtsgeschichtliche
Forschungen zum ‚Umstand’, also zu den am Gerichtstag
versammelten Rechtsgenossen, und in Zusammenschau mit dem erarbeiteten
Raumkonzept ergibt sich, dass gerade für die mittelalterliche
Gerichtsöffentlichkeit von einer solchen Gegenüberstellung nicht gesprochen
werden kann: Denn der Grundgedanke des mittelalterlichen Prozessrechts wies
der Gerichtsgemeinde keine Zuschauerrolle zu, sondern betrachtete sie als Mitwirkende
am Prozessgeschehen, die sich der Entscheidung der Urteiler anschlossen. Dass
im 15. und 16. Jahrhundert diejenigen, die bei einem auf dem Marktplatz oder
im Kaufhaus tagenden Gericht zugegen waren, vom Prozessgeschehen, wenn
überhaupt, eher beiläufig Notiz nahmen, widerspricht dem nicht. Es zeigt
vielmehr, dass die Gerichtspraxis in einer großen
spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Stadt den aktiv am
Verhandlungsgeschehen teilnehmenden Umstand im Alltag kaum mehr kannte, ohne
dass deshalb ein Publikum im modernen Sinne an seine Stelle getreten wäre.
Die Argumentation baut romantisierenden Vorstellungen vor und macht zugleich
darauf aufmerksam, dass das Grundkonzept der Verortung des Rechts in der
Gemeinde auch in der frühen Neuzeit prinzipiell noch virulent war. Integration, Nicht-Separierung,
war das Prinzip, welches der Verortung der Gerichte im Stadtraum zugrunde
lag, und die Rekrutierung ihres Personals gehorchte den gleichen Grundsätzen.
Denn obwohl der Rat mit den Stadtschreibern bereits im 14. Jahrhundert
gelehrtes Personal, zum Teil mit juristischer Promotion, in seinen Dienst
nahm und obwohl während des 15. Jahrhunderts erhebliche Mittel für die
Besoldung von ‚Ratskonsulenten’ aufgewandt wurden, die
Rechtsgutachten verfassten und die Stadt bei den Reichsgerichten oder den
geistlichen Gerichten vertraten, verfügten die Richter der Ratsgerichte nicht
einmal über niedere juristische Universitätsabschlüsse. Gleiches gilt für die
Schöffen des Hochgerichts. Obgleich einige von ihnen seit Beginn des 15.
Jahrhunderts an der Kölner Hochschule eingeschrieben waren, legte keiner ein
Examen in den Rechtswissenschaften ab. Erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts
finden sich sowohl unter den Ratsrichtern wie den Schöffen akademisch
gebildete Juristen, nicht selten mit Promotion. Eine
‚Professionalisierung’ des Rechtswesens lässt sich also durchaus
feststellen (Gutachter), allerdings war das Amt des Richters wie des
Urteilers davon ausgenommen. Bei den Ratsgerichten fand sich dafür eine auf
den ersten Blick einfache Erklärung: Ihr Personal rekrutierte sich
ausschließlich aus dem vor‑ und nachgesessenen Rat. In den Stadtrat
aber konnten keine Personen mit höherem akademischen Grad gewählt werden. Die
Vorbehalte gegenüber den Gelehrten sind insbesondere für Nürnberg in der
Forschung intensiv erörtert worden, und deshalb wurde diese Diskussion auch
hier aufgegriffen, ohne den vorgeschlagenen Erklärungen zu folgen.
Stattdessen wurden Überlegungen aus der Arbeit Rudolf Stichwehs zur
Universität in der Vormoderne aufgegriffen. Er weist nach, dass die Erlangung
höherer akademischer Grade gleichbedeutend war mit der zunehmenden
Mitgliedschaft in der Korporation ‚Universität’. An der
quellenmäßig gut belegten Kontroverse um den promovierten Juristen und Professor
der Kölner Universität Johan vam Hirtze, der ab 1484 als einziger Akademiker
dem Rat der Rheinmetropole angehörte, konnte herausgearbeitet werden, dass es
eben diese durch Graduation erworbene Mitgliedschaft in der Universität war,
die als unvereinbar mit einer gleichzeitigen Mitgliedschaft im Rat galt. Der
Vergleich mit Nürnberg, dessen Quellen allerdings keinen so spektakulären
Fall aufweisen, bestätigte diese Einschätzung. Wie die
weitere Entwicklung im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert zeigte, war die
allmähliche ‚Säkularisierung’ der Universität Voraussetzung
dafür, dass ein akademischer Abschluss und ein Sitz im Rat nun nicht mehr als
unvereinbar betrachtet wurden. Jetzt, wo graduierte Juristen im Rat vertreten
waren, findet man sie auch unter den Ratsrichtern. In etwa zeitgleich fanden
Juristen auch Zugang zum Schöffenkolleg des Hochgerichts. Der Vergleich von
Hoch‑ und Ratsgerichtswesen wie der Blick auf Nürnberg machten
deutlich, dass sowohl die Ausgrenzung wie die Berücksichtigung graduierter
Rechtsgelehrter bei der Besetzung der Gerichte weniger von möglichen
Sachanforderungen oder dem Wunsch nach Implementierung
‚rationaler’ Verfahrensweisen als vielmehr vom jeweiligen
Verhältnis der beiden Korporationen ‚Stadt’ und ‚Universität’
zueinander abhängig war. Die Gerichte der
spätmittelalterlichen Stadt, das konnte an den beiden Bereichen
‚Verhandlungsorte’ und ‚Personal’ aufgezeigt werden,
waren in ihren Grundstrukturen so ausgerichtet, dass sie als integraler
Bestandteil der kommunalen Gesellschaft in Erscheinung traten, und offenbar
war genau dies das zentrale Anliegen einer solchen Konzeption: Konfliktlösung
sollte sich nicht zu einem eigenständigen Bereich in der Stadt entwickeln,
eine Institutionalisierung der Rechtsprechung wurde verhindert. Stattdessen wurde
sie – personal wie räumlich – als integraler Bestandteil der
Stadtgesellschaft ausgestaltet. Die tiefere
Begründung hierfür ist in dem spezifischen Status zu sehen, der dem Konflikt
in einer genossenschaftlichen Stadtgesellschaft zukam. Aufgrund des anders
gearteten Verhältnisses von Einzelperson und Verband, aufgrund der anderen
Formen der Inklusion, bringt, wie in den einführenden Kapiteln erläutert,
Streit Mitgliedschaft in Gefahr. ‚Zugehörigkeit’ ist das zentrale
Thema, dass in jedem Rechtsstreit mitgeführt wird, und darüber muss in der
Mitte der Gesellschaft verhandelt werden, darüber können nur Mitglieder des
Verbandes entscheiden. Das Verhandeln über Konflikte
ist aber alles andere als ein alltäglicher Vorgang, sondern selbst wieder
hochgradig konfliktträchtig. Die Streitbeilegung – dies steht nur
scheinbar im Widerspruch zum bisher Ausgeführten – erfordert die
Etablierung eines distinkten Diskursraumes, in dem mit besonderen Regeln auf
das prekäre Thema des Diskurses abgestellt werden kann. Wie beschrieben,
konnten mittelalterliche Stadtgerichte hierfür nicht auf eine personelle oder
räumliche Institutionalisierung zurückgreifen. Die Rechtsprechung der
mittelalterlichen Stadt griff dafür zu anderen Mitteln. Das Hochgericht modellierte den
Diskursraum durch bestimmte Sprachformen und Rituale, durch vorgeschriebene
Redewendungen und Gesten, wie sie im so genannten deutschrechtlichen
Verfahren allgemein üblich waren. Im 14. Jahrhundert wurden diese Wendungen
verschriftlicht, so dass den Prozessbeteiligten ein ‚Handbuch’
zur Verfügung stand, an dem sie sich orientieren konnten. Das Zusammenwirken
von Eingeübt-Sein und Sanktionsdrohung – eine Missachtung der
vorgeschriebenen Sprechweise konnte den Prozesserfolg gefährden – führte
dazu, dass sich die Verhandlungen tatsächlich an diesen Regeln ausrichteten.
Eindeutige Belege dafür lassen sich zudem in den Schreinsbüchern finden, die
hin und wieder die verwendeten Formeln notieren, obwohl dies in
‚Grundbucheinträgen’ eigentlich nicht zu erwarten ist. Die formalisierte
Rede markierte aber nicht nur den Diskursraum, sie baute auch einer
Eskalation des Streites vor Gericht vor, da sie kaum noch Raum für frei
formulierte Einlassungen oder gar spontane Äußerungen ließ. Charakteristisch für das
Prozessgeschehen ist weiter, dass jede
Rede der Parteien bzw. ihrer Fürsprecher in einer Urteilsfrage endete. Diese
wurde wiederum vom Richter den Schöffen vorgetragen und zur Entscheidung
gestellt. Nach ergangenem Urteil fuhr der Fürsprecher mit seinen Einlassungen
fort, die erneut mit einer Frage endeten. Dieses so genannte
Frage-Folge-Verfahren, dass zudem mit zahlreichen Widerholungen des bereits
Gesagten arbeitete, gab dem Prozessgeschehen eine spezifische dialogische
Struktur, die auf die Rede nicht die Gegenrede der anderen Seite, sondern das
Urteil der Schöffen folgen ließ. Ein besonderes Augenmerk verdient dabei die
Position, die der Fürsprecher wie der Richter in der konkreten Kommunikation
vor Gericht einnahmen. Der Fürsprecher, der als ‚Mund der Partei’
für den Kläger oder Angeklagten redete, hatte deren Einlassungen im Gericht
dem Richter kundzutun. Die Parteien wurden dann lediglich gefragt, ob sie dem
Geäußerten zustimmen wollten oder nicht. Diese indirekte Form des Gesprächs
fand sich auch auf Seiten der Prozessleitung. Die Urteiler, die die vielen
Entscheidungen auch verfahrensrechtlicher Art während eines Prozesses zu
fällen hatten, verkündeten ihre Voten nicht selbst. Dafür war vielmehr der
Richter, der vornehmlich als Verhandlungsleiter auftrat, zuständig. Fürsprecher
und Richter fungierten quasi als Relaisstationen zwischen denen –
Parteien auf der einen, Urteiler auf der anderen Seite –, die für den
Inhalt der Äußerungen verantwortlich waren. Unmittelbar miteinander
kommunizierten also jene Personen, denen das von ihnen Gesagte gar nicht
zuzurechnen war. Dem
erstaunlich Unfesten, Offenen, das bei dem Verhältnis von Gericht und
Stadtraum wie auch bei den Amtsträgern zu beobachten war, standen feste
Regeln für die Form der Einlassungen aller Beteiligten während des Verfahrens
gegenüber. Während also die Institutionalisierung vermieden wurde, indem man
weder den Raum noch das Personal verstetigte, war die aktuelle Kommunikation
unter den Anwesenden im Prozess in fast übersteigerter Weise durchgegliedert
und ausgearbeitet. Dabei scheint das eine das andere bedingt zu haben, denn
die Notwendigkeit, der mündlichen Verhandlung einen Halt zu geben, steigt,
wenn diese ohne Amtsraum und professionelle Amtsträger auskommen muss.
Deutlich wird, dass man bei der notwendigen Abgrenzung des Diskursraumes
‚Konfliktbearbeitung’ das Ephemere – Sprache und Gesten
– unter Verzicht auf das Permanente – Gebäude und Personal
– favorisierte. Denn nur so konnte gewährleistet werden, dass die
Verstetigung, die sich schon aus dem regelmäßigen Zusammentreten von Richter
und Schöffen an bestimmten Wochentagen ergab, nicht darin mündete, dass das
Gericht dem Bürgerverband als eine von diesem separierte, fremde Einrichtung
gegenübertrat. Der ritualisierte Verfahrensablauf ist somit als Respons zu
werten, der aufgrund der Einbettung der Rechtsprechung in den Verband
erforderlich war, um den Diskursraum dennoch als distinkt zu markieren.
Zugleich wurde über die Festlegung spezifischer Formen der mündlichen
Verhandlung eine Struktur etabliert, die eine Eskalation verhindern konnte,
indem sie die direkt am Konflikt und Entscheidungsprozess Beteiligten nur
indirekt und in beschränktem Maße zu Wort kommen ließ. Das Verfahren vor dem
Hochgericht war jedoch nicht allein durch formalisierte mündliche Einlassungen
und Rituale gekennzeichnet; auch Urkunden und andere Schriftzeugnisse
gewannen zunehmend an Bedeutung. Bereits seit dem 12. Jahrhundert verfügte
Köln über umfangreiche Aufzeichnungen zum Immobilienverkehr in der Stadt, und
es waren neben den Sondergemeinden gerade die Hochgerichtsschöffen, die die
Führung von Schreinsbuchern betrieben. Bald traten neben jenen Schriften, die
lediglich Grundstücksgeschäfte verzeichneten, weitere hinzu, in denen auch
Gerichtsentscheidungen festgehalten wurden. Wie wurde mit diesen und anderen
Aufzeichnungen umgegangen? Wie wurden sie in die Verhandlung vor dem
Hochgericht eingebracht, und welchen Platz in dem weitgehend von Mündlichkeit
geprägten Verfahren wies man ihnen zu? Diese Fragen gewinnen ihre besondere
Relevanz, wenn man sich vergegenwärtigt, dass heute dem schriftlich Fixierten
eine eigenständige Stellung zukommt. In der Gegenwart ist Verschriftlichung
fast gleichbedeutend mit Verobjektivierung. Man weist dem Geschriebenen heute
von vornherein die Position eines autonomen Referenzpunktes zu. Das
Schriftstück hat sich weitgehend aus personalen Bezügen gelöst, und es ist
ihm im Diskurs per se ein
spezifisches Gewicht eigen. Von einer solchen Autonomie des Geschriebenen
kann jedoch für das Mittelalter nicht von vornherein und voraussetzungslos
ausgegangen werden. Ziel der Analyse des
Schriftgebrauchs war es, dem (sich wandelnden) Stellenwert in der konkreten
Kommunikation vor Gericht nachzugehen. Wenn damit auch ein gänzlich anderer
Zugang zur Problematik gewählt wurde als in der älteren Literatur, so war
doch die dort prominent gestellte Frage nach der rechtlichen Bedeutung der
Schreinsbücher zu diskutieren. Über lange Zeit, so die Forschung, kam dem
Schreinsbucheintrag lediglich eine memorative Funktion zu, während der Beweis
über den Kauf oder Verkauf einer Liegenschaft weiterhin an das persönliche
Zeugnis der Amtleute oder Schöffen gebunden war. Nur sehr langsam wuchs den
Grundbüchern eine zunehmend beweissichernde Funktion zu, und erst gegen Ende
des 15. Jahrhunderts kann man davon sprechen, dass der Eintrag im
Schreinsbuch konstitutiv für das Rechtsgeschäft war. Dieser Bedeutungszuwachs,
dessen Ursachen in der Literatur kaum weiter nachgegangen werden, wurde hier mit
einer anderen Verortung der Bücher in Verbindung gebracht: Während des 14.
Jahrhunderts bildete sich innerhalb der Sondergemeinden und des
Schöffenkollegs mit den Schreinsmeistern eine Personengruppe aus, die
zusammen mit dem Schreiber exklusiven Zugang zu den Büchern hatte, während
die übrigen Amtleute und Schöffen und selbst die Betroffenen diese nicht
einmal einsehen durften. Nur Abschriften wurden ihnen zugänglich gemacht. Die
Lagerung der Schreinsbücher in Privat‑ statt in den Geburhäusern oder
den Kirchen der Gemeinde und die Verwahrung der (zumeist drei) Schlüssel
durch die Meister sicherten nicht nur diesen exklusiven Zugang ab, sondern
wies den Büchern damit auch einen anderen Ort im Stadtraum zu. Es war dann
von Bedeutung, wie die Einträge, genauer gesagt: die Abschriften der Vermerke
aus den Schreinsbüchern in das Verfahren vor dem Hochgericht eingeführt
wurden. Mit dem zunehmenden Rückgriff auf schriftliche Aufzeichnungen –
neben den Schreinsbüchern auch auf Urkunden – ließ sich zugleich ein Zurückdrängen
der Anwesenheit von Zeugen und Eidhelfern feststellen. Das Zeugnis des
Schriftstücks trat, wenn man so will, an ihre Stelle. Ist damit eine wichtige
Konsequenz für das Verfahren benannt, war andererseits auffällig, dass man im
Prozessgang auf das Geschriebene keineswegs nur verwies. Statt, wie heute,
bei der mündlichen Einlassung auf ‚Aktenlage’ zu verweisen oder
die wesentlichen Informationen knapp zusammenzufassen, ließ man die
Schriftstücke in Gänze verlesen. Wie auch der weitere Umgang mit den zu Gehör
gebrachten Texten zeigte, oszillierte ihr Gebrauch in der konkreten Situation
vor Gericht zwischen der Möglichkeit, auf sie als eigenständigen
Referenzpunkt zu verweisen und der (weiterhin dominanten) Form, das Dokument
über das Verlesen-Lassen wieder in den Bereich der Mündlichkeit zu
überführen. Das Verfahren vor den
zahlreichen, erst im Laufe des 14. Jahrhunderts gegründeten Gerichten des
Stadtrates war im Vergleich zum Hochgericht gänzlich anders strukturiert.
Weder schrieb man den Prozessierenden vor, bestimmte Formeln und Wendungen zu
sprechen, noch verfügten diese Gerichte über Schöffen oder Urteiler. Zwar gab
es so genannte Vorsprecher; sie fungierten hier aber mehr als Rechtsvertreter
denn als ‚Mund der Parteien’. Statt mit Urteilern versah man die
Ratsgerichte mit je zwei Richtern, die aus dem vor- und nachgesessenen Rat
genommen wurden. Diese jährlich wechselnden Amtsträger waren von ihrem
Selbstverständnis und ihrem Auftreten her nicht so sehr Vorsitzende eines
eigenständigen Rechtsprechungsorgans, sondern eher Deputierte des Rates, den
sie repräsentierten und an dessen Stelle sie urteilten. Die Formlosigkeit und die
Abwesenheit von Urteilern und Vorsprechern als Mund der Parteien brachten
ihre eigenen Probleme mit sich, denn nun galt es, die im
Hochgerichtsverfahren strukturell angelegte Verhinderung möglicher
Eskalationen bei der Konfliktbearbeitung anders zu realisieren. Der Rat
suchte, über Statuten, die beleidigende Rede oder gar Tätlichkeiten bei
seinen Gerichten sanktionierten, ungewöhnlichem Betragen entgegenzutreten.
Zwar kannte auch das Hochgericht solche Regelungen. Bei den Ratsgerichten
waren sie jedoch ungleich prominenter. Zudem ließ sich eine Reihe von
Prozessen finden, bei denen die Parteien, aber auch das Gerichtspersonal,
undiszipliniertes Verhalten an den Tag legte. Es waren hier gerade die
Rechtsvertreter der Prozessierenden, ebenfalls ‚Vorsprecher’
genannt, die aufgrund der vermehrten Möglichkeit der freien Rede vor diesen
Gerichten häufiger zu beleidigenden Äußerungen neigten. Charakteristisch
für die Positionierung der Ratsgerichte ist, dass ungebührliches Betragen
oder gar eine Beleidigung der Richter zumeist vor den Rat gebracht wurden,
obwohl mit dem Gewaltgericht eine auf ähnliche Vergehen der Bürger
spezialisierte Einrichtung zur Verfügung stand. Kaum etwas zeigt deutlicher,
dass man die beiden Richter des Ratsgericht eher als Ausschuss des Rates
betrachtete und jede Äußerung gegen sie als unmittelbaren Angriff auf das
städtische Gremium verstanden wurde. Während man in anderen Bereichen oft
umständliche Straftatkataloge formulierte, setzte man bei der Steuerung von
Verhalten vor Gericht von vornherein auf abstrakte Konzepte, die sich in den
Begriffen hoesch/unhoesch manifestierten.
‚Freundliches’ und ‚unfreundliches’ Verhalten war
jedoch keineswegs etwas, dass der obrigkeitliche Rat über seine Gerichte den
Bürgern nahe zu bringen hatte. Das Leitungsgremium der Stadt hatte selbst
genug Disziplinprobleme und konnte kaum als Beispiel dienen. Und es waren
umgekehrt immer wieder die Bürger, die den Rat mahnen mussten, seine Richter
zu Pünktlichkeit und ‚freundlichem’ Auftreten anzuhalten. Die Forschung ist gegenüber der
Bedeutung von Normen auch dann, wenn man sich um ihre Durchsetzung bemühte,
zu Recht skeptisch geworden. Umso mehr gilt dies für den Bereich der
Verhaltensregelung in einer Situation, in der über den Besitz erheblicher
Vermögenswerte, des eigenen Hauses oder gar von Straftaten verhandelt wurde.
Schon die wiederholte Aufforderung, sich vor den Ratsgerichten hoesch zu verhalten, legt nahe, dass
der Umgangston dort nicht immer von ‚Freundlichkeit’ geprägt war.
Anders als Normen sind dagegen Kommunikationsstrukturen, wie sie hinsichtlich
der Konfliktbearbeitung vor dem Hochgericht erörtert wurden, sicherlich besser
geeignet, Verhalten zu konditionieren. Denn das allgemein Übliche, die
ungeschriebenen Regeln des Diskurses, sind zumeist schwerer beiseite zu
schieben, als ein abstraktes Statut in einer emotional aufgeladenen Situation
zu missachten. Sucht man nach Strukturen, die
einem ungestörten Ablauf der Verhandlungen auch vor den Ratsgerichten
förderlich waren, ist sicherlich als erstes an die Verwendung von Schrift zu
denken, zumal die erst im Laufe des 14. Jahrhunderts neu gegründeten Gerichte
bereits in einem stärker durch Schriftnutzung geprägten Umfeld entstanden.
Die Rechtsprechung des Rates konnte zudem an die Mediennutzung des
Hochgerichts anknüpfen, indem man etwa auf die Schreinsbücher der
Sondergemeinden zurückgriff. Anders als in der Verfahrensform waren im
Schriftgebrauch gewisse Übereinstimmungen zwischen den Gerichten zu
beobachten. Allerdings tut hier eine
differenzierte Betrachtung Not. Das letzte Drittel des 14. Jahrhunderts ist
noch dominiert von Regelungen, die bei Verfahren vor dem Rat das Erscheinen
von (bewaffneten) Freunden und Zunftgenossen zu unterbinden suchten. Das
Prekäre gerade an diesen Normen war, dass sie einem Kernelement kommunalen
Lebens, nämlich der Solidarität im Verband, widersprachen und deshalb eine
nur sehr eingeschränkte Wirkung entfalteten. Seit dem beginnenden 15.
Jahrhundert jedoch lässt sich feststellen, dass das Gebot, sich nur noch bei
Aufforderung durch den Rat auf das Rathaus zu begeben und stattdessen Gesuche
schriftlich einzureichen, offenbar weitgehend habitualisiert war. Besser als
durch Verbote gelang es so, die Bürger bei brisanten Fragen auf Distanz zu
halten. Sicheres Indiz der Umstellung ist, dass im weiteren Verlauf des
Jahrhunderts die Aufmerksamkeit des Rates einer präziseren Regelung dieser
Schreiben gilt, nicht mehr jedoch der Kanalisierung von ungebeten zum Rathaus
drängenden Personen. Die Bedeutung, die die Schrift
nun im Umgang zwischen Bürger und Rat bei juristischen Streitfällen erhielt,
kontrastiert auffällig mit der geringen Produktion von Protokollbüchern oder
sonstigen Schriftstücken bei den Ratsgerichten selbst. Was aus der ersten
Hälfte des 15. Jahrhunderts überliefert ist, sind weitgehend zwei‑ oder
dreizeilige Notizen, denen kaum mehr als die Namen und der Streitgegenstand
zu entnehmen sind. Ging es in einem Verfahren vor einem Ratsgericht um
Schriftstücke, wurden sie zumeist von den Klagenden eingebracht und waren
nicht selten privaten Ursprungs (etwa Güterverzeichnisse). Nichtsdestotrotz
ließ sich auch hier tendenziell die schon beim Hochgericht beobachtete
Herauslösung der Parteien aus ihrem sozialen Umfeld feststellen, da nun
seltener auf Zeugen zurückgegriffen wurde. Die hier aufscheinende Ambivalenz
der Schriftnutzung – Einfordern schriftlicher Eingaben von den Bürgern
einerseits, geringer Grad der Verschriftlichung bei den Ratsgerichten
andererseits – machte eine genauere Autopsie der
Kommunikationsstrukturen notwendig. Eine genaue Situierung des
Mediums ‚Schrift’ im Kommunikationsraum ‚Stadt’
erforderte eine Betrachtung der Aufbewahrungssituation und des mit ihm
umgehenden Personals. In auffälligem Gegensatz zu den Gerichten waren das
Archiv und die Kanzlei als eindeutig separierte und distinkte Räume im
Stadtraum ausgeformt. Der Zugang insbesondere zum Archiv wurde sehr
restriktiv gehandhabt. Drei ‚Gewölbeherren’, zumeist ehemalige
Bürgermeister, verwahrten je einen Schlüssel, so dass selbst der Leiter der
Kanzlei, der Protonotar, keinen unmittelbaren Zugang zu den dort lagernden
Schriftstücken hatte. Die besondere Form der
Aufbewahrung korrespondierte mit der Sonderstellung der in der Kanzlei
Beschäftigten. Im 14. Jahrhundert oft Kleriker, bevorzugte man im 15.
Jahrhundert universitär gebildetes Personal, das gern aus anderen Städten
stammen durfte. Nicht selten sahen die Verträge mit den Stadtschreibern vor,
dass sie in der Kanzlei Wohnung zu nehmen hatten, womit sich Ort und Amt
gegenseitig in ihrer Besonderheit akzentuierten. Ungewöhnlich auch, dass der
Schreiber und die Gewölbeherren zu den wenigen Amtsträgern gehörten, die
nicht in regelmäßigem Turnus wechselten, sondern langfristig ihren Dienst zu
versehen hatten. Ein Vergleich mit Nürnberg und Lübeck ließ erkennen, dass
auch dort ähnlich mit Kanzlei, Archiv und Schreiberamt umgegangen wurde. Wenn auch im Einzelnen ganz
anders umgesetzt, lassen sich Parallelen zum Umgang mit dem Geschriebenen bei
den Sondergemeinden und dem Hochgericht erkennen. Besonderes Personal –
hier Stadtschreiber, dort Schreinsmeister – versah den Dienst an den
dem allgemeinen Zugriff entzogenen, jeweils mit drei Schlüsseln gesicherten
Schriftstücken. Durch diese Grenzziehungen vermag das Geschriebene zumindest potentiell eine eigenständige Position
im Diskurs zu erlangen. Für das hinsichtlich des Raumes und des Personals auf
Integration setzende Gerichtswesen könnte also durch den Schriftgebrauch eine
andere Komponente hinzutreten, die mit dem Konzept ‚Einbettung’
brechen würde. Es galt also, genauer hinzuschauen, wie die Dokumente und
Aufzeichnungen im Prozessgang benutzt wurden, welche Position ihnen in der Kommunikation
jeweils zugewiesen wurde. Mit der räumlichen und
personalen Separierung der Schrift waren die Voraussetzungen dafür
geschaffen, unterschiedliche Formen des Gebrauchs dieses Mediums zu
realisieren. Möglich war es nun, das Medium nicht nur in performative
Handlungen einzubinden, sondern es auch zur Errichtung eines eigenen
Diskursraumes zu nutzen. Bezeichnenderweise sind die beiden genannten
Extremformen einerseits im Binnenverkehr des Bürgerverbandes, insbesondere im
Kontakt zwischen Rat und Einwohnern, andererseits zwischen Bürgern und
Nichtbürgern jeweils dominant zu finden. Bei Streitigkeiten zwischen Bürgern
versuchte der Rat, eine Schriftnutzung, die über das Verlesen von Texten
hinausging, auch noch gegen Ende des 15. Jahrhunderts möglichst zu
verhindern, indem er etwa auf die Bitte, Abschriften bestimmter Texte
ausfertigen zu lassen, nicht einging, auch wenn deren Inhalt allen
Beteiligten bereits zu Gehör gebracht worden war. An dieser Stelle sei an ein
Beispiel erinnert, um die unterschiedlichen Formen der Schriftnutzung zu
demonstrieren und zugleich ihre Zuordnung zu verschiedenen
Kommunikationsräumen aufzuzeigen. Im Prozess Rosenkranz/von dem Vyehofe aus
den 1430er und 1440er Jahren setzte man sofort stark auf Schriftlichkeit.
Dabei wies nicht nur der Umfang, sondern insbesondere die Art und Weise, wie
mit den verschriftlichten Einlassungen umgegangen wurde, eine ganz andere
Dimension auf. Denn die Prozessschriften wurden, wie aus den Randnotaten
ersichtlich, intensiv durchgearbeitet und kommentiert. Auf Geschriebenes
wurde mit Geschriebenem reagiert, Texte antworteten auf Texte, ohne dass eine
performative Verbalisierung dazwischen geschoben worden wäre. Das
kommunikative Feld verschob sich tatsächlich in den Bereich der
Schriftlichkeit. Dass dies nicht auf den Streitwert oder die Komplexität der
Rechtsstandpunkte zurückzuführen war, ließ sich gerade bei diesen
Verhandlungen gut zeigen. Rosenkranz hatte während des Verfahrens seine
Bürgerschaft aufgesagt und war in burgundische Dienste getreten, während van
dem Vyehofe weiter Kölner Bürger blieb. Der Umgang des Rates mit van dem
Vyehofe entsprach dabei dem in Konfliktfällen üblichen: Man sandte
Schickungen aus, um ihn und seine Unterstützer zum Einlenken zu bewegen. Ganz
anders dagegen verfuhr man mit Rosenkranz: Obwohl sich eine Delegation des
Rates nach Burgund aufmachte, war ihr Ziel nicht der Kläger, sondern dessen
Dienstherr, mit dem man über die im Zuge des Konflikts festgesetzten Kölner
Waren verhandelte. Das ganze Gewicht, das eine Ratsschickung, die ja als
Abbreviatur des Rates und der Stadtgemeinde dem Einzelmitglied des Verbandes
gegenübertrat, in die Waagschale werfen konnte, und die handfeste Bedrohung,
die mit dem in Aussicht gestellten Entzug des Bürgerrechts und dem Entzug von
Schutz und Schirm der Stadt verbunden war, konnte gegenüber jemandem, der
nicht mehr Kölner Bürger war, nicht greifen. Insofern ist es kein Zufall,
dass der Rat, sonst eher skeptisch gegenüber der Verwendung von Schrift in
juristischen Streitfällen eingestellt, in dieser Auseinandersetzung, in der
zwei von ihm bestellte Personen als Schiedsrichter auftraten und er selbst
als ‚Obmann’ fungierte, diese sogar förderte. Denn mit der
Schrift etablierte man über die Verbandsgrenzen hinweg einen eigenen,
gemeinsamen Diskursraum, dessen man als Bezugsrahmen gerade für
Streitigkeiten zwischen Mitgliedern verschiedener Personenverbände dringend
bedurfte. Ein solcher Schriftgebrauch
entsprach jedoch nicht dem kommunikativen Konzept, dass im Binnenraum der
Stadt dominierte. Dies ist nicht zuletzt an der Art und Weise abzulesen, wie
der Rat bei Konflikten mit Bürgern die Schrift benutzte. Wollte das Gremium
jemanden dazu bewegen, eine bestimmte Anordnung zu befolgen, so sandte es
eine je nach Lage wechselnde Zahl von Ratsherren – zumeist zwei oder
vier – zum Haus der Person. Diesen ‚Schickungen’ wurde
aufgetragen, dass sie dem Betreffenden das entsprechende Statut oder den
Ratsbeschluss vorlesen sollten, sollte er sich nach einer ersten, rein mündlichen
Aufforderung immer noch weigern, Folge zu leisten. Blieb der Eigensinnige
weiter renitent, drohte man ihm ernste Konsequenzen an, etwa den Ausschluss
aus der Bürgerschaft. Das Verlesen oder Vorlegen von
Schriftstücken ist in diesen Fällen integraler Bestandteil der Face-to-Face-Kommunikation,
die der Rat im Umgang mit seinen Bürger bevorzugte. Ihr Potential entfaltete
diese Art der Ansprache dadurch, dass die Schickung den Rat und letztlich die
gesamte Bürgergemeinde repräsentierte. Im Kern, so konnte herausgearbeitet
werden, stand dem Einzelnen damit die Gemeinschaft gegenüber, deren
‚Schutz und Schirm’ – so die Quellen – er genoss und
die ihn zur Änderung seines Rechtsstandpunktes oder seines Verhaltens
aufforderte. Klar erkennbar ist auch, dass das Vorlesen in diesem Kontakt
eine Verschärfung der Ansprache darstellte. In der performativen Situation
drängte das Verlesen eines Statuts das personal-individuelle Moment, dass der
ungebundenen Äußerung der Ratsherren im Gespräch innewohnte, zurück. Das
impliziert aber nicht etwa, dass Schrift hier Verobjektivierung bedeutete
oder gar einen eigenen Diskursraum eröffnete. Im Gegenteil: Mehr als im
informellen Gespräch evozierte vielmehr das Vorlesen in besonderem Maße, dass
der Geschickte der Bürgergemeinde lediglich seine Stimme lieh. Sie ist es,
die hier als forderndes Gegenüber präsent gemacht wurde. Die
Verhandlungen, die im Rahmen einer ‚Schickung’ mit den Einwohnern
geführt wurden und die ganz auf Präsenz und Face-to-Face-Kommunikation
abstellten, waren jedoch nicht auf diese Vorgehensweise festgelegt. Weigerte
sich der Bürger hartnäckig, Folge zu leisten, und war bereit, die
Konsequenzen zu tragen und aus dem Bürgerverband auszuscheiden, wechselte
sofort der Modus der Schriftnutzung. Jetzt zog man einen Notar hinzu –
ein in Städten nördlich der Alpen eher ungewöhnlicher Vorgang – und
ließ ihn über den Sachverhalt ein Notariatsinstrument ausfertigen. Die
Zuziehung eines Amtsträgers, der durch kaiserliche, päpstliche oder
pfalzgräfliche Ernennung zum Notar promoviert worden war und sich damit,
anders als der Stadtschreiber, nicht durch die Kommune legitimierte,
bedeutete eine Präparierung des neuen Diskursraumes. Auch das
Notarsinstrument selbst konnte einen Sonderstatus unter den im Auftrag der
Stadt erstellten Schriftstücken beanspruchen. Sicherlich hing die Zuziehung
des Notars auch damit zusammen, dass in einigen Fällen der Kontakt zur
kirchlichen Rechtssphäre gegeben war. In der Zusammenschau ließ sich jedoch
feststellen, dass der entscheidende Grund für diese andere Form der Schriftnutzung
im Berühren oder Überschreiten der Verbandsgrenze zu sehen ist, aufgrund der
die Kommunikation anders strukturiert werden musste. Zugehörigkeit und Nicht‑Zugehörigkeit
der Kommunikationsteilnehmer zum Verband sowie performativer, in den Face-to-Face-Kontakt
eingebundener und referentieller Gebrauch von Schrift, mit dem ein eigener
Diskursraum aufgespannt wurde, waren weitgehend parallel geschaltet. Der Stadtverweis und die
Todesstrafe, die beiden letzten in der Arbeit diskutierten Themenfelder,
stehen, das ist evident, in unmittelbarem Bezug zu Inklusion/Exklusion. Es
galt, die These, dass Konflikte Zugehörigkeit in Frage stellten, in ihrer
Bedeutung für diese Strafenanwendungen aufzuzeigen, zumal in der Literatur
für die Anwendung beider Sanktionsarten andere Gründe genannt werden. Die mittelalterlichen Gerichte
haben Strafurteile erst spät schriftlich dokumentiert. Die Verbannung aus der
Stadt zählt zu den frühesten notierten Strafen, und schon damit ist ihre
Bedeutung ersichtlich. Es sind vornehmlich zwei Gründe, die für die Prominenz
des Stadtverweises als Sanktionsmittel angeführt werden: Zum einen, so die
Forschung, ging es um Abschreckung, verlor doch der Ausgewiesene mit seinem
sozialen Umfeld auch seine ökonomische Basis. Zum zweiten habe sich die
Kommune mit dem Stadtverweis auf einfachste Art eines Problemfalles
entledigt. Zweifellos waren die beiden
vorgebrachten Motive für das Verhängen der Strafe von Bedeutung. Bei näherem
Hinsehen zeigte sich jedoch, dass sie bestenfalls partiell die hohe Bedeutung
des Bannes zu erklären vermögen. So kann man der Ausweisung aus der Stadt nur
sehr bedingt eine abschreckende Wirkung zuschreiben. Sicherlich gerieten
Viele, die diese Strafe erlitten, in wirtschaftliche Not und mussten gar um
ihr Überleben kämpfen. Das Schicksal des Exilierten hing jedoch in
entscheidendem Maße davon ab, welche Ressourcen an Vermögen und sozialen
Kontakten er außerhalb der Stadtmauern mobilisieren konnte. Nicht wenigen
gelang es, schnell in einer anderen Stadt Fuß zu fassen und sich ein
auskömmliches Leben zu sichern. Wie es dem Verurteilten nach der Verbannung
ergehen würde, war jedoch für die Gerichte keineswegs vorhersehbar. Nimmt man
den Leitgedanken ‚Abschreckung’ als Beweggrund an, muss ferner
unverständlich bleibt, dass die Stadt kaum Anstrengungen unternahm, auf das
weitere Schicksal des Ausgewiesenen Einfluss zu nehmen. Zwar informierte der
Rat gelegentlich andere Städte und Regionen über Gebannte, zwar ließ er bei
bestimmten Delikten die Auszuweisenden brandmarken oder verstümmeln, aber
solche Maßnahmen wurden nur äußerst selten angewandt. Es gab also durchaus
Möglichkeiten, auch auf das Leben des Exilierten Einfluss zu nehmen, aber
ausgeschöpft wurden sie nicht. Diese Gleichgültigkeit, die
nicht mit dem unterstellten Wunsch nach Abschreckung vereinbar ist, scheint
zunächst das zweite, in der Literatur genannte Motiv, sich möglichst einfach
und kostengünstig eines Problemfalles zu entledigen, zu stärken. Hier war
eine differenzierte Betrachtung erforderlich. Denn es ist sicher richtig,
dass die Vertreibung größerer Gruppen, etwa der im Laufe des 15. Jahrhunderts
mehr und mehr als störend empfundenen ‚starken Bettler’ und
Prostituierten, aus der Perspektive des Rates eine günstige Lösung
darstellte. Anders sah es hingegen bei Einzelpersonen aus, die im Zuge
konkreter Konflikte verbannt wurden und lange Kölner Bürger gewesen waren.
Hier galt es, Eigentums‑ sowie Rent‑ und Zinsrechte der
Verwiesenen in Köln zu regeln, zu klären, wie mit auswärtigen
Geschäftspartnern der Exilierten, die nach Köln kamen, umzugehen war, und
nicht zuletzt den Kontakt und die mögliche Unterstützung von Freunden und
Verwandten in der Stadt zu kontrollieren. Mit der Ausweisung war eine ganze
Reihe von Folgeproblemen verbunden, die kaum in den Griff zu bekommen waren
und nicht selten zu weiteren Konflikten Anlass gaben. Der Stadtverweis hielt jedoch
nicht nur besondere Folgeprobleme bereit, sondern barg darüber hinaus reale
Gefahren. Da der außerhalb der Stadt weilende Verurteilte jeder Kontrolle
– sei es durch den Rat und seine Organe, sei es durch sein
unmittelbares (Wohn‑)Umfeld – entzogen war, konnte er ungestört
Rachepläne schmieden und andere Maßnahmen in Angriff nehmen, die der Stadt
und ihren Bürgern schaden konnten. Heinrich Huysgin, der im Zuge einer
tätlichen Auseinandersetzung der Stadt verwiesen wurde, plante, wohl mit
Unterstützung seiner in Köln weilenden Frau, nicht etwa einen Anschlag auf
seinen ehemaligen Streitgegner, sondern auf den Ratsherren, dessen
vermeintlich falscher Bericht zu dem harten Urteil geführt habe. Das Vorhaben
war bereits weit gediehen und konnte nur in letzter Minute vereitelt werden.
Der gut situierte Kaufmann Heinrich Mull, der im Zuge der Unruhen von 1482
die Stadt verlassen musste, wandte sich zunächst an den Erzbischof,
schließlich an den Kaiser, um wieder in Köln leben zu können. Der Rat sah
sich gezwungen, mit beiden Herrschern Verhandlungen zu führen, und konnte
Friedrich III. dessen ‚Bitte’ um Wiederaufnahme des Verwiesenen
nicht abschlagen. Zwar kam es auch vor, dass sich in der Stadt Lebende an
Große des Reiches wandten. Jedoch war der Rat in solchen Fällen wesentlich
besser in der Lage, Druck auszuüben und Kompromisse anzubahnen, als dies bei
jenen möglich war, die bereits außerhalb Kölns lebten. Bei näherem
Hinsehen stellt sich auch aus der Sicht der verweisenden Stadt die Verbannung
weder als zielgenaue Abschreckungsmaßnahme noch als einfache Lösung zur
Beseitigung von ‚Problemfällen’ dar. Die Strafmaßnahme brachte im
Gegenteil eine ganze Reihe von unkalkulierbaren Risiken und Gefahren mit
sich, die sie als nahezu disfunktional erscheinen lassen. Da der Stadtverweis
dennoch ein weit verbreitetes Strafmittel war, muss es andere als die in der
Literatur genannten Gründe für die Verhängung dieser Sanktion gegeben haben.
Bringt man hier die Unterscheidung
‚Zugehörigkeit/Nicht-Zugehörigkeit’ in Anschlag, so zeigt sich,
dass sich die Stadt in einem sehr umfassenden Sinne für die Verwiesenen nicht
mehr ‚zuständig’ fühlte. Für das Handeln der Ausgeschlossenen war
der Verband weder in positivem noch in negativem Sinne verantwortlich. Aus
der Sicht der Stadt waren es ‚Unpersonen’, und dass sie sich
außerhalb der Mauern gegen Gemeinde und Rat wenden konnten, wurde in der
Regel ausgeblendet. Hinrichtungen in der vormodernen
Gesellschaft haben seit langem kontinuierlich erhöhte Aufmerksamkeit in der
historischen Forschung gefunden, erhoffte man doch, über die Analyse dieser
inszenierten Tötungen Einblicke in die gesellschaftlichen Vorstellungswelten
der Zeit zu gewinnen. Neben dem Abschreckungspotential, dass den grausamen
Hinrichtungen schon von den Quellen zugeschrieben wurde, hat man sie
insbesondere als Reinigungsrituale interpretiert, mit denen die
mittelalterliche Stadt sich von Verbrechen befreite und dem durch sie
heraufbeschworenen Unheil zu entgehen trachtete. Beiden Erklärungen, die dann
weitere Differenzierung erfuhren, ist nicht generell zu widersprechen, jedoch
scheinen sie zum Verständnis des komplexen Phänomens nicht ganz ausreichend.
Ein anderer Blick auf die Rituale der Hinrichtung eröffnet sich, wenn man dem
Umgang der Gesellschaft mit den zum Tode Verurteilten den Umgang mit den
Heiligen gegenüberstellt, denn beide stellen gewissermaßen Extreme von
‚gut’ und ‚böse’ dar. Beiden gemeinsam ist jedoch,
dass Körper, Tod und die Behandlung der Leiche zentrale Aspekte ihrer
jeweiligen Position in der Gesellschaft darstellten, allerdings unter
entgegengesetzten Vorzeichen. Das Grab des Heiligen befand sich zumeist in
einer Kirche; der Leichnam galt per definitionem als unversehrt und –
auch nach Jahren im Grab – als unverwest und wohlriechend. Zudem war
der Heilige meist kostbar gekleidet. Dagegen wurde der zum Tode Verurteilte
entkleidet, aus der Stadt geschliffen und malträtiert. Sein Körper wurde
schon zu Lebzeiten entstellt und unbeerdigt am Galgen hängen gelassen. Es
sind zwei Konzepte, die für die Bedeutung des Körpers und seiner intakten
Überdauerung bzw. Zerstörung verantwortlich zeichnen: Erstens die vormoderne
Engführung von Person, Status und Körper samt Kleidung. Zweitens wird bei der
Behandlung beider Gruppen die Vorstellung virulent, dass mit dem biologischen
Tod die soziale Existenz nicht beendet war. Wenn man mit dem Tod auch in eine
andere Welt gelangte, so war doch weiterhin ein Kontakt gegeben, konnten
Verwandte durch Gebete auf das Schicksal der Toten einwirken und der Tote
sogar aktiv – etwa als Kläger gegen seinen Mörder – am
diesseitigen Leben teilnehmen. Führt man diese beiden Aspekte
zusammen, wird auch für die grausamen Hinrichtungsakte Exklusion als Motiv
erkennbar. Wollte man den Hinzurichtenden aus der Gesellschaft ausschließen,
reichte das einfache Töten nicht aus. Erst über die besondere Zurichtung des
Körpers und des Leichnams, die Bestandteil der meisten Hinrichtungsarten
darstellte, konnte eine vollständige Exklusion erreicht werden. Dies, der
Ausschluss des Delinquenten, erweist sich damit als Fluchtpunkt des
Hinrichtungsrituals. Die Schilderung der Hochgerichtssitzung, in der das
Todesurteil gefällt wurde, und das anschließende Ausführen des Verurteilten
aus der Stadt ließen dies ebenfalls deutlich erkennen. Eine besondere
Bedeutung kam dabei dem Mitwirken der Delinquenten in Form von wiederholten
Bekenntnissen zur Tat und zur Schuld zu. Deren juristische Bedeutung trat
deutlich hinter dem rituellen Wert des Eingeständnisses während des
Ausführens aus der Stadt und auf dem Schafott zurück. Auf der
Basis des so Erarbeiteten waren die Befunde vor allem mit Blick auf
‚mildere’ Hinrichtungsarten, bei denen der Verurteilte auf einem
Schafott in der Stadt durch das Schwert gerichtet und anschließend begraben
wurde, weiter zu differenzieren. Für Köln ließ sich aufzeigen, dass solche
Hinrichtungen zumeist im Gefolge von Revolten stattfanden. ‚Politische
Verbrecher’ wurden meistens nicht gehängt, sondern mit dem Schwert
getötet. Das ist bei Henkin van Turne deutlich fassbar, der zunächst wegen
eines Vergehens vor der Stadt gehängt werden sollte; als er jedoch im Zuge
der Weberunruhen 1372 befreit wurde, mutierte er zum
‚politischen’ Fall, dem die Schwertstrafe zuzumessen war. Der
eigentliche Grund für diesen Strafwandel bei van Turne und anderen, das gilt
es hervorzuheben, war jedoch nicht in der Deliktart zu sehen, sondern in der
in solchen Situationen angezeigten Rücksichtnahme auf das soziale Umfeld des
Verurteilten. Ein reduzierter Zugriff auf den Körper und ein Begräbnis
zielten darauf ab, die Ehre der Verwandten und Freunde sowie der
Zunftgenossen weniger stark zu beeinträchtigen, wie die Quellen selbst sagen.
Um dies zu gewährleisten, war eine Zurücknahme des Exklusionsrituals als
Konzessionen an das soziale Umfeld nötig. Das hob jedoch den Ausschluss nicht
auf. Bei der Hinrichtung des Werner von Lyskirchen, der 1482, ein Marienbild
in Händen, in der Stadt durch das Schwert starb und in einer Kirche
beigesetzt wurde, scheint zwar zunächst von einer Exklusion kaum etwas zu
spüren. Ein Vergleich mit jenen Beschuldigten, denen der Rat trotz
todeswürdiger Delikte Verzeihung und Wiederaufnahme in die Gemeinschaft
gewährt, zeigte jedoch, dass auch bei von Lyskirchen die Hinrichtung
Ausschluss bedeutete. Denn auch die Tötung mit dem Schwert ist letztlich eine
erzwungene Deformation des Körpers. Sie mag aber eine weniger drastische
Exklusion zur Folge gehabt haben als eine Zerstückelung beim Rädern.
Abweichend von van Gennep wäre hier zu fragen, ob Exklusionsrituale, und
damit auch die Exklusion, nicht skalierbar waren. In der Mediävistik ist es
gängige Münze, dass die moderne Welt ihre Wurzeln im Mittelalter hat.
Gleichwohl ist ebenso evident, dass die Gesellschaftsformen dieser Epoche,
insbesondere die Stadtgesellschaften, anders funktionierten als heute. Mit
der Beschreibung des Gerichtswesens der mittelalterlichen Stadt sucht die
Studie einen Beitrag dazu zu leisten, diese Alterität zu erfassen. Die
Entscheidung, weniger den mentalen, religiösen oder weltanschaulichen
Dispositionen jener Zeit nachzuspüren als vielmehr die Konsequenzen der
zentralen Unterscheidung ‚Inklusion/Exklusion’ zu analysieren,
ließ sich aus der spezifischen Struktur von Mitgliedschaft im Verband der
vormodernen Gesellschaft ableiten. Eine zentrale Dimension dieser
Unterscheidung, nämlich die durch einen Konflikt eingetretene Gefährdung von
Zugehörigkeit, wurde primär im Gerichtswesen bearbeitet. Seine Struktur ließ
sich in den entscheidenden Aspekten darauf zurückführen, dass es bei den
Verhandlungen über Rechtsstreitigkeiten immer prominent um die Gefährdung von
Mitgliedschaft ging. Das Rechtswesen der
spätmittelalterlichen Stadt erweist sich damit zwar als auf diese bestimmte
gesellschaftliche Aufgabe spezialisiert, greift bei seinen Operationen jedoch
nicht auf eine eigene, sondern auf eine gesamtgesellschaftliche
Grundunterscheidung zurück. Es wäre zu fragen, ob diese für das Gerichtswesen
gewonnene Erkenntnis – Spezialisierung einerseits, Partizipation an
gesamtgesellschaftlichen Leitdifferenzen andererseits – auf einer
abstrakten Ebene auch für andere Teilbereiche der spätmittelalterlichen
Gesellschaft angewandt werden und zu innovativen Einsichten führen könnte. |
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