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   Habilitation: November
  2002  | 
  
   Franz-Josef Arlinghaus Die
  Bedeutung des Mediums "Schrift" für die unterschiedliche
  Entwicklung deutscher und italienischer Rechnungsbücher, in: Vom Nutzen
  des Schreibens, hg. von Walter Pohl und Paul Herold (Forschungen zur
  Geschichte des Mittelalters 1), Wien 2002, S. 237-268. Download Artikel .pdf-Format Vorgehen:  In vier Schritten wird die Entwicklung
  der Buchführung in vergleichender Perspektive aufgezeigt werden: 1)     
  Es gilt zu
  zeigen, daß den Rechnungsbücher bis ins 15. Jahrhundert hinein vornehmlich
  eine gedächtnisstützende Funktion zukam. Für die Handlungsbücher der
  Hansekaufleute ist hierauf in der Forschung bereits häufiger hingewiesen
  worden, ohne daß man daraus die nötigen Konsequenzen gezogen hätte. Dagegen
  wird den italienischen Kaufleuten bei der Anlage ihrer Rechnungsbücher
  zumeist die Ermittlung des Geschäftserfolges als vorrangiges Motiv
  unterstellt. 2)     
  Unterschiede
  sind also nicht in der Motivlage (siehe 1) oder in der den Büchern gestellten
  Aufgabe auszumachen. Denn im Norden wie im Süden wurden vornehmlich
  Forderungen notiert, die der Kaufmann gegenüber Kunden und Geschäftspartnern aufgrund
  von unbezahlten ,Rechnungen’ hatte. Eine gravierende Differenz ist
  allerdings in der Menge der zu verzeichnenden Informationen festzustellen.
  Aufzuzeigen ist, daß dieser enorme quantitative Unterschied die Basis für
  eine unterschiedliche Entwicklung der Buchführung in den beiden Regionen
  darstellte. 3)     
  Drittens muß
  herausgearbeitet werden, daß der Unterschied in der Quantität der zu
  verwaltenden Daten zwar die Voraussetzung für die Herausbildung
  elaborierterer Buchführungstechniken in Italien darstellte. Wichtiger war
  jedoch, daß es hier zu einem eigendynamischen Prozeß kam, der nach eigenen,
  vom ,Buchhalter’ wenig beeinflußten Regeln ablief. Diese Regeln sind
  jedoch nicht so sehr aus der Menge der zu vermerkenden Transaktionen
  abzuleiten als vielmehr aus dem Medium, mit dem diese Daten gespeichert
  wurden – der Schrift.  4)     
  Dabei tritt
  die Schrift nicht als ,objektives’, zu allen Zeiten in gleicher Weise
  benutztes Medium zur Fixierung von Informationen auf. Vielmehr war die Art
  des Notierens, wie man sie in den Geschäftsschriften des Nordens und Südens
  gleichermaßen vorfindet, geprägt von einer spezifisch
  ,mittelalterlichen’ Kultur des Schreibens, die eine knappe,
  tabellenförmige Datenspeicherung zwar kannte, jedoch kaum benutzte. Die
  ,umständliche’ Nutzung ganzer Sätze zur Informationsspeicherung auch in
  Rechnungsbüchern, diese kulturell-historisch geprägte Verwendung von Schrift,
  war ein weiteres zentrales Element bei der Entwicklung der Buchführung. Schluß/Zusammenfassung
  Entgegen der weit verbreiteten
  Auffassung, unter italienischen Kaufleuten sei das Führen von
  Rechnungsbüchern vornehmlich durch den Wunsch nach der Kontrolle des
  Geschäftserfolgs motiviert gewesen, konnte gezeigt werden, daß trotz ihrer
  tatsächlich größeren Elaboriertheit den Händlern aus Florenz und Mailand die
  Buchführung primär als ein Instrument der Gedächtnisstütze, der Merkhilfe
  diente. Damit lassen sich hinsichtlich der Motive und Zielsetzungen keine
  gravierenden Unterschiede zwischen den Händlern aus dem Süden und den
  Kaufleuten aus Norddeutschland feststellen. Mehr noch: In beiden Regionen, in
  Handlungs- wie in Rechnungsbüchern, wurden vornehmlich die Schulden notiert,
  die Geschäftspartner oder Kunden bei der wedderlegginge oder compagnia
  gemacht hatten. Die Einräumung von Kredit, nicht die Kontrolle des
  Geschäftserfolges, wird so – unabhängig von der Wirtschaftsregion und
  von tatsächlichen oder vermeintlichen mentalen Unterschieden – zum
  Angelpunkt allen mittelalterlichen Buchhaltens. Gravierende Unterschiede lassen sich
  allerdings bei der Menge an gewährten Krediten und damit an zu verwaltenden
  Einträgen feststellen. Da es sich bei der großen Masse der von Francesco
  Datini und Toro di Berto aufgeschriebenen Schulden um kleine Warenkredite
  handelte und die beleuchtete Unternehmung selbst eher zu den Klein- und
  Mittelbetrieben zählte, wird man die unterschiedliche Kreditvergabepraxis
  nicht allein damit erklären können, eine italienische compagnia sei
  nun einmal größer gewesen und habe über ein weiteres Handelsnetz verfügt.
  Auch die lange Zeit vertretene Ansicht, die Hanse sei ,kreditfeindlich’
  gewesen, ist inzwischen widerlegt und fällt damit als mögliche Erklärung aus.
  Hier wäre die Frage zu klären, ob sich die auf mikroökonomischer Ebene
  beobachtbaren Differenzen nicht auf makroökonomische Rahmenbedingungen
  zurückführen lassen, an denen sich das Agieren der Firmen auszurichten hatte
  und die sich in den beiden Regionen völlig anders darstellten. Angesichts
  eines westlich des Rheins fehlenden Bankwesens und der Tatsache, daß die im Markt
  befindliche Geldmenge für die entwickelten Wirtschaftsaktivitäten in der
  Region in der Tendenz wohl immer zu gering war – mit den bekannten
  deflationistischen Effekten –, scheint man von einem Kapital- und
  Geldmarkt, wie er in Italien vorzufinden ist, in Rostock, Lübeck und Hamburg
  nur bedingt sprechen zu können. Nur mit Spezialuntersuchungen, die den
  Zusammenhang von Unterschieden auf dem Kapitalmarkt in seinen Konsequenzen
  für den Kleinkreditmarkt fokussieren, können hier weitere Einsichten gewonnen
  werden. Der Unterschied in der Anzahl der zu
  verzeichnenden Kredite ist ein zentraler Faktor bei der Ausformung
  unterschiedlicher Rechnungsbuchstrutkuren in den beiden Regionen. Es muß
  jedoch betont werden, daß man dieses quantitative Moment nicht als Ursache
  oder Auslöser für die verschiedenartige Entwicklung von hansischen Handlungs-
  und italienischen Rechnungsbüchern bezeichnen kann. Es stellt vielmehr die
  Bedingung der Möglichkeit für die hierauf aufruhende Entwicklung dar. Als
  Ursache ist vielmehr ein eigendynamisch ablaufender Prozeß auszumachen, der
  vom Wechselspiel zwischen großer Datenmenge und spezifisch mittelalterlicher
  Schriftnutzung iniziiert und getragen wurde. Im Verlauf dieses Prozesses
  bildeten sich neue Strukturen der ,Informationsverarbeitung’ heraus,
  und an ihnen ist ablesbar, daß der Schrift in diesem Wechselspiel die
  Protagonistenrolle zuviel. Die Bedingungen nämlich, die der intensive
  Gebrauch des Mediums an den Schreiber herantrug, waren in Strukturen
  umzusetzen, die nur mit der Schrift und in der Schrift realisiert werden
  konnten. Nicht fehlendes intellektuelles Niveau oder mangelndes Gewinnstreben
  beim Hansekaufmann sind daher für ein ,Zurückbleiben’ der
  Buchführungstechniken im Norden verantwortlich zu machen. Vielmehr fehlten
  hier die für die Entfaltung eines eigendynamischen Prozesses nötigen
  Voraussetzungen. Umgekehrt zeigten die italienischen Fernhändler bis zum Ende
  des 14. Jahrhunderts wenig Interesse, über das unbedingt notwendige und vom
  Medium vorgezeichnete Maß hinaus Strukturen in die Buchführung einzubauen,
  die wesentlich mehr als eine übersichtliche Anordnung der
  Kreditaufzeichnungen sicherstellten. Der eigendynamische
  Prozeß war zudem an eine Schriftverwendung gekoppelt, die durch den Gebrauch ganzer
  Sätze und den Verzicht auf die Tabelle beim Notieren von Informationen
  gekennzeichnet war, wie sie insbesondere für das Mittelalter als typisch
  gelten kann So gesehen bietet dieses Modell auch einen Erklärungsansatz
  dafür, warum sich wichtige Buchführungstechniken nicht schon in früherer
  Zeit, wo es ebenfalls darum ging, große Datenmengen zu verschriftlichen,
  herausgebildet haben. Das Festhalten an dieser zeittypischen Fixierung von
  Informationen in ganzen Sätzen macht die schriftliche Datenspeicherung im
  Vergleich zur Tabelle um ein Vielfaches schwerfälliger. Neben der großen Zahl
  von Geschäftsvorfällen ist es also der Starrheit des Mediums ,Schrift’
  im allgemeinen wie der spezifischen Art ,mittelalterlicher’
  Schriftnutzung im besonderen zuzurechnen, daß sich der bereits beschriebene
  eigendynamische Prozeß entfalten konnte, der in Italien für eine Reihe von
  elaborierten Buchführungstechniken verantwortlich zu machen ist.  | 
  
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