Habilitation: April
2003 |
Franz-Josef Arlinghaus Legitimationsstrategien
in schwieriger Zeit. Die Sentenzen der
Mailänder Kommunalgerichte
im 12. und
13. Jahrhundert in:
Hagen Keller / Marita Blattmann (Hgg.), Formen der Verschriftlichung und
Strukturen der Überlieferung. Studien über Gestalt, Funktion und Tradierung
von kommunalem Schriftgut des 12. und 13. Jahrhunderts (Münstersche
Mittelalter-Schriften), München (im Druck seit 1998). Download Zusammenfassung: .rtf-Format / .pdf-Format 1.
Einleitung 2.
Kurzer
historischer Überblick 3.
Methodisches
Vorgehen: Zur quantitativen Analyse des Quellenbestandes 4.
Das
‘Personal’ der Sentenz 5. Diskussion der Faktoren,
die die Anzahl der Amtsträgernennungen beeinflussen 6.
Die Selbstbezeichnung der Amtsträger 6.1. Die Titulaturen der Schreiber 6.2. Die Selbstbezeichnung der
Subskribenten 6.3. Die in Protokoll und Kontext der
Sentenz zu findenden Amtsträgerbezeichnungen 7. Legitimationsstrategien der Gerichte
und ihr Verhältnis zu den sich wandelnden politisch-gesellschaftlichen
Verhältnissen 7.1. ‘Außenlegitimation’:
Kaiser und Kommune als äußere Stützen des Gerichts 7.2. ‘Binnenlegitimation’: Die
fortschreitende Zergliederung des Verfahrens 7.2.1
Die
Aufteilung des Konsulats 7.2.2 Das Notariat als zunehmend eigenständiges Element im Prozeß 7.2.3. Zur Funktion der iudices delegati
und consiliarii/iurisperiti 8.
Die Herstellung
von Legitimität im Verfahren 9.
Zur Funktion
der Schrift in einem sich selbst legitimierenden Verfahren 10. Zusammenfassung 11. Anhang Grafiken und Tabellen: Grafik 1: Durchschnittliche
Amtsträgernennungen pro Jahr pro Sentenz Grafik 2: Anzal der
Unterschriften Grafik 3: Anzal der in
Protokoll und Kontext genannten Amtsträger Tabelle 1: Anzahl der Amtsträgernennungen pro
Sentenz im Text nach Phasen Tabelle 2: Die Selbstbezeichnungen
der Schreiber Tabelle 3: Die
Selbstbezeichnungen der Unterschreiber Tabelle 4: Die Selbstbezeichnungen der in
Protokoll und Kontext genannten Amtsträger 10. Zusammenfassung* Das 12. und 13. Jahrhundert stellten
für die norditalienischen Stadtkommunen eine Zeit tiefgreifender
Veränderungen auf nahezu allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens dar.
Diese Umbrüche gingen einher mit einer Verunsicherung der Institutionen und
Organe, die sich in der städtischen Gesellschaft bisher vermeintlich fest
etabliert hatten. Wie, so war eingangs gefragt worden, reagierte der sensible
Bereich der Justiz auf die allgemeinen Veränderungen des gesellschaftlichen
und politischen Umfeldes? Wie war es dem Gericht möglich, für seine Urteile
Akzeptanz herzustellen und sich selbst als Entscheidungsinstanz zu
legitimieren angesichts der Tatsache, daß die beiden Institutionen - Kaiser
und Kommune -, auf die es sich bei seinem Handeln über Jahrzehnte berufen
hatte, zunehmend mehr miteinander in Streit lagen und schließlich große Mühe
hatten, auch nur für sich selbst Akzeptanz zu finden? Hierauf mußte das
Justizwesen zwangsläufig reagieren, die Frage war nur, wie und mit welcher
Geschwindigkeit. Durch die Analyse der recht
kontinuierlich überlieferten Sentenzen der Mailänder Kommunalgerichte sollte
hierauf eine Antwort gefunden werden. Angesichts der Problemstellung war es
in dieser Untersuchung darum zu tun, aus den verschriftlichten Urteilen
möglichst typische Elemente des Gerichtswesens für bestimmte Zeitabschnitte
herauszupräparieren. Es ging also nicht darum, wann erstmalig dieses
oder jenes Phänomen in den Sentenzen faßbar wurde, sondern wann es breit und
durchgängig zur Anwendung kam. Dies machte einen quantitativen Zugang erforderlich,
der sich nur gestützt auf die Datenbank Mailänder Amtsträger
(‘Amtmail’) realisieren ließ. Das zunächst rein formale Auszählen
der Verteilung von Amtsträgernennungen in verschiedenen Segmenten der Urkunde
brachte als erstes Ergebnis, daß sich Urkundentext und Subscriptio, obwohl
Teile des gleichen Rechtsaktes und des gleichen Dokuments, weitgehend
unabhängig voneinander verhalten: Eine hohe Zahl an im Text genannten
Amtsträgern konnte sowohl mit einer niedrigen als auch mit einer hohen Anzahl
an Subskribenten einhergehen und umgekehrt. Diese Beobachtung erlaubte, über
zunächst rein formale Kriterien eine Periodisierung des Materials
vorzunehmen, die einerseits die Grundlage für die weitere Auswertung der
Sentenzen bildete und sich zugleich in dieser Auswertung als zutreffend und
interpretierbar bewähren mußte. Über die Untersuchung der in den
verschiedenen Urkundenteilen zu findenden Titulaturen gelang eine Bestätigung
der fünf verschiedenen Phasen, die sich bereits durch das Auszählen des ‘Personals
der Sentenz’ herauskristallisiert hatten. Trotz dieser Bestätigung
hieße es, die angewandte Methode überzustrapazieren, wollte man in den
vorgeschlagenen Perioden Entwicklungsphasen sehen, die sich auf das Jahr
genau gegeneinander abgrenzen lassen. Dies war weder intendiert noch für eine
Interpretation erforderlich, denn bei dem postulierten Zusammenhang zwischen
gesellschaftlichen Veränderungen und Umgestaltungen in der
Legitimationsstruktur des Gerichtswesen wird man a) von einer mehr oder
weniger starken zeitlichen Verzögerung bezüglich eines
Ursache-Wirkungszusammenhangs ausgehen müssen. Veränderungen im
politisch-sozialen Bereich schlagen sich nur sehr selten sofort und
unmittelbar auf den Umgang mit Recht nieder[321].
Und b) wird man von komplexen Änderungen in der Legitimationsstruktur eines
Gerichtswesens nicht erwarten können, daß sie abrupt und plötzlich einsetzen. So gesehen ist es erstaunlich, wie
deutlich sich Unterschiede zwischen den Intervallen abzeichnen. Die Jahre von
1140 bis 1175 stellen, wenn auch nicht hinsichtlich der Anzahl der erwähnten
Amtsträger - hier schwanken die Zahlen ganz erheblich -, so doch hinsichtlich
der benutzten Titulaturen die homogenste Zeitspanne der hier betrachteten 136
Jahre dar. Das Gericht bediente sich während der ersten 35 Jahre in einem
austarierten Verhältnis der beiden Autoritäten ‘Kommune’ und
‘Kaiser’, die es über das Aufrufen der Bezeichnungen consul
im Urkundentext und iudex in der Subscriptio für die eigene
Legitimation dienstbar zu machen wußte. In den zehn Jahren nach 1175 - der
zweiten Phase - finden die bereits seit Mitte der 1150er Jahre zunehmenden
Auseinandersetzungen zwischen Herrscher und Stadt ihren ersten gravierenden
Niederschlag in den Gerichtsurkunden. Gerade in der Subscriptio, in der zuvor
über die Bezeichnung ‘iudex’ ausschließlich auf den Kaiser
Bezug genommen wurde, fächern sich, zusammen mit einer gesteigerten Zahl an
Subskribenten, auch die von diesen benutzten Titulaturen auf. Die neu in der
Subscriptio zu findenden Bezeichnungen verweisen jetzt einerseits - erstmals
in diesem Teil der Sentenz - auf ein kommunales Amt, andererseits gewinnt
über die bloße Namensnennung das persönliche Ansehen des Firmierenden
vorübergehend an Bedeutung. Vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung,
die durch den Frieden von Konstanz und durch weitgehende Anerkennung der
kommunalen Gemeinschaft von seiten der Zentralgewalt, aber schon bald wieder
von erneuten Auseinandersetzungen geprägt ist, stehen die folgenden
Intervalle drei (1186-1210) und vier (1211-1247) im Zeichen einer weiter
wachsenden, dann schließlich dominanten Verwendung kommunal fundierter
Titulaturen. Von den beiden Institutionen, auf die sich die Gerichte zur
Legitimation ihrer selbst und zur Steigerung der Akzeptanz ihrer Entscheidungen
noch im dritten Viertel des 12. Jahrhunderts stützen, kann jetzt nur noch auf
die Kommune Bezug genommen werden. Allerdings stellte diese alleinige
Bezugnahme auf die städtische Gemeinschaft von vornherein keinen
vollständigen Ersatz für die austarierte Doppellegitimation dar, wie sie uns
noch bis in die 1170er Jahre hinein in den Sentenzen begegnet. Der Verlust
der Möglichkeit, den sich auf sein Gottesgnadentum berufenden Herrscher in
die Legitimation des Gerichts einzubinden, mußte eine Lücke reißen, die durch
die Kommune nicht vollständig geschlossen werden konnte. Dies um so weniger,
als auch die städtische Gesellschaft aufgrund der Gegensätze zwischen Popolo
und Nobiles selbst in eine ‘Identitätskrise’ geriet. Das Gericht
war angesichts der nur noch eingeschränkt vorhandenen Möglichkeit, sich durch
Berufung auf ‘externe’ Autoritäten zu legitimieren, mehr und mehr
darauf angewiesen, eine andere Strategie für die Herstellung von Akzeptanz zu
entwickeln. Die Aufgliederung des Verfahrens in mehrere, möglichst autonome
Teilverfahren und die Beauftragung von Funktionsträgern, die für die
Durchführung dieser Teilverfahren verantwortlich waren, erst im Prozeßverlauf
selbst stellte solch eine alternative Strategie dar. Erste Ansätze einer
Ausdifferenzierung lassen sich bereits in den späten 1180er Jahren, zu Beginn
unserer dritten Phase, erkennen: Die zunehmende Abtrennung von Kommunal- und
Justizkonsulat - wenn auch nie strikt durchgeführt - bedeutet eine Entlastung
sowohl für die ‘politische’ Führung der Stadt wie für das
Gerichtswesen[322];
erstmals gibt es Hinweise auf eine Ausgliederung des Zeugenverhörs aus dem
Verfahren[323];
die Beratung über den Fall erfolgt jetzt nicht mehr nur unter den Konsuln,
die dem Prozeß vorsitzen, zumindest sporadisch werden zusätzlich magistri
erwähnt, die konsultierend zugezogen werden. Mit der im Jahre 1200 erstmals
belegten Delegation eines Verfahrens von den Justizkonsuln an sogenannte iudices
delegati[324]
ist bereits vor Beginn des 13. Jahrhunderts eine Anzahl von eigenständigen
Elementen des Prozeßwesens nachweisbar, die für sich in Anspruch nehmen
können, ihre Befugnis für das Agieren im konkreten Verfahren vorrangig aus
einer Beauftragung im Prozeß selbst herzuleiten. Daß sie Mitglieder einer
Zunft oder eines Kollegiums waren, daß die Kommune auf diese Verbände Einfluß
nahm und Zugang zu diesen Organisationen nicht zuletzt über fachliche
Qualifikation geregelt wurde, sei damit nicht bestritten. Die konkrete
Legitimation für ihre oft zentrale Stellung im laufenden Prozeß bezogen die Notare
der Zeugeneinvernahme, die iudices delegati und die iurisperiti
aber nur mittelbar aus ihrer Mitgliedschaft in bestimmten Korporationen. In
erster Linie basierte sie auf einer Ernennung im Verfahren selbst. Kann man schon in der Zergliederung
des Prozeßablaufs einen Versuch sehen, Akzeptanz im Verfahren selbst
herzustellen, da die Beteiligten mit jedem Verfahrensschritt, an dem sie
teilnahmen, zugleich implizit die Legitimität des Geschehens bestätigten[325],
so stellte die Benennung der einzelnen Gremien, die diese Prozeßschritte
durchzuführen hatten, erst im Laufe des Verfahrens und oft unter Einbeziehung
der Beteiligten eine nochmalige Steigerung dieser Art der
Akzeptanzherstellung dar. Es ist kein Zufall, daß in den späten 1240er
Jahren, als auch der Rückgriff auf die Kommune als Möglichkeit einer
‘Außenlegitimation’ des Gerichts nur noch sehr eingeschränkt
bestand, die alternative Strategie der ‘Binnenlegitimation’ in
einem aus heutiger Sicht extremen Maße angewandt wurde. Die wachsende
Bedeutung der iurisperiti für das Urteil, die generelle Hinzuziehung
von Beauftragten, seien es nun delegierte Richter oder
‘Gutachter’, und die nicht selten zu findenden
‘Beauftragungsketten’ - Konsul beauftragt Delegierten,
Delegierter beauftragt iurisperitus - zeigten an, wie sehr man jetzt
auf die Herstellung von Akzeptanz im Verlauf des Verfahrens selbst setzte.
Auch wenn immerhin noch 80% der Urteile durch einen durch die Kommune direkt
eingesetzten ‘Amtsrichter’ verkündet wurden - rund 20% der Sentenzen
entschieden und verlautbarten die iudices delegati -, kann man nach
der Analyse der Verfahrensabläufe den weitgehenden Rückzug einer direkten
Beteiligung der Kommune am Prozeßgeschehen konstatieren. Dies macht Sinn in
einer Zeit, in der eine zu starke Bezugnahme auf eine nicht mehr
unumstrittene Institution keine Ent-, sondern eher eine Belastung für das
Gerichtswesen bedeutet hätte. Ein rascher Vergleich der Phasen 2
(1176-1185) und 5 (1248-1276) soll die beiden unterschiedlichen
Legitimationsstrategien, deren sich das Gericht zu verschiedenen Zeiten
bediente - einerseits die Bezugnahme auf ‘externe’ Autoritäten,
andererseits die Legitimation im Verfahren durch Ausdifferenzierung des
Prozesses - noch einmal verdeutlichen. Der zunehmenden Infragestellung des
bipolaren Referenzsystems der Sentenz (Urkundentext = kommunale, Subscriptio
= kaiserliche Titulatur) - ausgelöst durch den Dauerkonflikt der beiden
Institutionen und durch das zunehmende Schwinden kaiserlicher Autorität in
Mailand - versuchte man zunächst auf ‘traditionelle’ Weise zu
begegnen: Man bemühte sich, durch Mobilisierung einer größeren Zahl von
Amtsträgern, durch eine Ausfächerung der Titulaturen und nicht zuletzt durch
die Betonung, daß herausragende Persönlichkeiten der Stadt mit ihrem Namen
hinter dem Verfahren standen, dem Gericht und seinem Urteil weiterhin
Gültigkeit zu verschaffen; der Prozeß selbst aber blieb zunächst noch
weitgehend ein einheitliches Ganzes, ohne weitere zeitliche oder personelle
Zergliederung. So vorzugehen war nicht neu, denn auch in besonders wichtigen
Prozessen versuchte man ja, durch die Einbeziehung weiterer
Amtsträgerpersönlichkeiten die Legitimität und Durchsetzungskraft des
Kommunalgerichts zu steigern. In dieser Phase jedoch wurde das Vorgehen zum
generellen Prinzip und erklärt sich nicht aus der Spezifik des einzelnen
Falles, sondern aus der Schwäche der externen Bezugsgrößen. Denn der Weg der
‘Außenlegitimation’ und die Möglichkeit, allein durch vermehrtes
Hinzuziehen von Vertretern ‘externer’ Institutionen ohne Zergliederung
des Verfahrens Legitimität herzustellen, stehen nur offen, wenn diese
Institutionen selbst über ausreichende Akzeptanz verfügen. Insofern scheint
es symptomatisch, daß in der Subscriptio jetzt nicht nur erstmals kommunale
Ämtertitulaturen in Erscheinung traten, sondern vermehrt Personen lediglich
mit ihrem Namen firmierten, obwohl sie Amtsträger waren. In der zweiten Phase
wird die Strategie der Außenlegitimation quantitativ - durch Nennung vieler
Personen und Titel - wie qualitativ - durch Bezugnahme auf unterschiedliche
externe Größen - in einer fast extrem zu nennenden Art und Weise ausgereizt;
zugleich werden hier die Grenzen aufgezeigt, eine solche
Legitimationsstrategie beizubehalten, wenn jede einzelne Bezugsgröße selbst
nur wenig Legitimationspotential in den Prozeß einbringen kann. Ganz anders stellt sich das
Prozeßgeschehen dar, das nach 1247 in Mailand üblich wurde. Wichtige
Verfahrensteile wurden jetzt von zwei oder drei sich voneinander abgrenzenden
administrativen Einheiten bearbeitet. Für die Zeugeneinvernahme waren die
Notare zuständig, de facto oblag die Entscheidung des Falles den iurisperiti,
während für die Entgegennahme der Klage und die Verkündung der Entscheidung
weiterhin - zumindest in der Mehrzahl der Verfahren - der Assessor des
Podestà oder der Konsul zuständig war. Hier eröffnete das Prozedere - in
seiner Zergliederung, insbesondere aber durch die Tatsache, daß es immer
wieder andere, mit unterschiedlichen Funktionsträgern besetzte Gremien waren,
die Teilentscheidungen herbeiführten - die Möglichkeit, Akzeptanz und
Legitimität quasi in kleinen Schritten im Fortgang des Verfahrens selbst
herzustellen. Durch die Zergliederung verminderte sich zugleich für die
Einzelkomponenten des Prozesses der Bedarf an Legitimität erheblich; durch
ein Aufeinander-Bezug-Nehmen der autonomen Teilsysteme gelang darüber hinaus
ein gegenseitiges Abstützen der Einzelelemente. Bezieht man zudem bei der
Beauftragung der Gremien die Parteien mit ein - und hier ist es von
nachrangiger Bedeutung, ob diese Einbeziehung über das Einreichen von Listen
gewünschter oder auf keinen Fall gewünschter Kandidaten geschah oder
lediglich durch Losen erfolgte -, so steigerte man damit zusätzlich den
Aspekt der ‘Anerkennung durch Teilnahme’, der sich bei jeder
Partizipation an Verfahrensabläufen einstellt. Die Zergliederung des Prozesses und
die Abgrenzung von Zuständigkeiten sind bis in die Ausfertigung der Sentenz
hinein faßbar. War noch im 12. Jahrhundert keine eindeutige Verknüpfung zwischen
der Selbstbezeichnung des Amtsträgers und der Tätigkeit des Schreibens und
Unterschreibens möglich, so hatte der notarius in der zweiten Hälfte
des 13. Jahrhundets alle anderen Amtsträger - einschließlich des
Verfahrensleiters - weitgehend aus der Subscriptio verdrängt. Mehr noch: der
firmierende Notar konnte jetzt eigenständig einen Kollegen oder Angestellten
beauftragen, das Urteil des Kommunalgerichts zu schreiben. Ablesen läßt sich
an dieser Art der Subscriptio, wie der Bereich der Verschriftlichung selbst
als eigenständiges Element des Verfahrens aufgefaßt wurde, das nun in die
Obhut einer bestimmten Gruppe von Funktionsträgern gelegt wurde. Hat man
Schrift und Notariat so weit autonomisiert, kann man sie als eigenständiges
Modul insbesondere im Zuge von Beauftragungen und Delegationen als
Relaisstation zwischenschalten. Denn ein Gericht, das nicht nur auf eine
Zergliederung des Verfahrens setzt, sondern zudem die einzelnen Gremien erst
im Prozeßverlauf bildet und beauftragt, hat ja das Problem, durch die und
mittels der Ernennung die Legitimität der Teilelemente herstellen zu müssen.
Hier kann es nur von Vorteil sein, wenn im Verfahren vor den iudices
delegati nicht nur auf die Beauftragung durch den Assessor oder Konsul
Bezug genommen werden kann, sondern zusätzlich die Möglichkeit besteht, auf
den als separates Element betrachteten Notar und die ausgefertigte carta
delegationis verweisen zu können. Damit ließen sich im
Delegationsverfahren zwei Institutionen angeben, die jeweils
‘selbständig’ an der Beauftragung mitwirken. Will die Strategie, durch
Zergliederung des Verfahrens im Prozeß Akzeptanz und Legitimation zu
erzeugen, ihre volle Wirkmächtigkeit entfalten, muß sie trotz des
Ineinandergreifens der einzelnen Verfahrensmodule auf die ein oder andere
Weise deren Autonomie und Unabhängigkeit voneinander gewährleisten und nach
außen sichtbar machen. In Institutionen, in denen Teilelemente erst ad hoc
durch Beauftragung gebildet werden, besteht die besondere Gefahr, daß die
angestrebte Autonomie der erst durch die ‘Oberbehörde’ kreierten
Gremien nicht deutlich genug hervortritt. Durch Zwischenschalten von Notar
und Schrift zwischen beauftragender und delegierter Instanz, durch eine
Ernennung nicht direkt aus dem Munde des Assessors oder Konsuls, sondern
durch den die carta delegationis verlesenden notarius, erfolgt
die Beauftragung de facto nur noch mittelbar, über ein zweites
Gremium. Mit einer solchen Verschaltung kann der skizzierten Gefahr des
Nicht-Wahrnehmens der Unabhängigkeit von Teilelementen begegnet werden; sie
setzt aber voraus, daß das Notariat selbst als eigene Institution aufgefaßt
wird. Diese institutionellen Aspekte, in
denen Notariat und Schrift zu eng miteinander verwoben sind, als daß hier
weitere Differenzierungen hätten vorgenommen werden können, sind zu scheiden
von einer grundlegenderen Verortung der Schrift als Austauschmittel zwischen
den einzelnen Verfahrensgremien. Wenn die Zergliederung des Prozeßgangs -
zumindest in den hier näher beleuchteten Segmenten - primär dem Zweck dient,
im Verfahren selbst Legitimation herzustellen, und wenn es dafür erforderlich
ist, die verschiedenen Teilelemente in ihrer Unabhängigkeit voneinander allen
am Prozeß Beteiligten deutlich vor Augen zu führen, dann vollzieht sich die
Verschriftlichung bestimmter Verfahrensabläufe in einem ganz speziellen
Kontext, in dem der Schrift auch eine andere Funktion zuzumessen ist. In
diesem Kontext kommt der Schrift eben nicht primär die Bedeutung zu,
Informationen auszutauschen; dieser Informationsaustausch wäre ja - etwa wenn
das Zeugenverhör nicht vom Notar, sondern vom Richter durchgeführt worden
wäre oder wenn, wie lange Zeit üblich, eine Zuziehung von sapientes
zum Verfahren in Form des colloquium erfolgt wäre, also in direkter
mündlicher Beratung, statt in der Form des abgetrennten consilium -
weiterhin auch mündlich möglich gewesen. Der Austausch von Protokollen und
Konsilien per Boten zwischen den verschiedenen Institutionen diente hier
dazu, die gewollte Distanz zwischen den Gremien aufrechtzuerhalten und jeden
direkten Kontakt, bspw. zwischen iurisperitus und iudex, nach
Möglichkeit zu verhindern. So, durch diese Art der Kommunikation, war
prinzipiell eine sehr weitgehende Abgetrenntheit der einzelnen
Verfahrensteile möglich - trotz der mannigfachen inhaltlichen und
organisatorisch-juristischen Verflechtungen. Nur so konnte die Autonomie der
Gremien, die für eine Entfaltung der Möglichkeit, durch den Verfahrensgang
Legitimität herzustellen, von entscheidender Bedeutung war, wirkungsvoll
etabliert und zugleich nach außen sichtbar gemacht werden. Wie aber das Vorgehen der Richter in
San Gimignano zeigte[326],
war über eine geschickte Verwendung der Elementen ‘Geheimhaltung’
und ‘Öffentlichkeit’ in Kombination mit dem Verschriftlichen und
Verlesen von Konsilien und Urteilen nicht nur ein Entweder - Oder, also eine
vollständige Trennung oder der direkte Kontakt, möglich. Vielmehr eröffnete
sich hier ein weites Feld sehr differenzierter, abgestufter Vorgehensweisen
von durchaus gewollt zeremoniellem Charakter, die eine sehr feine Ausformung
und Zurschaustellung der Beziehungen zwischen den Institutionen erlaubten. Die Umgestaltung des Mailänder
Zivilgerichtsverfahrens von einem einheitlichen Prozeß hin zu einem
ausdifferenzierten System von Einzelgremien diente, so die These, vornehmlich
dazu, die nicht mehr herstellbaren ‘Außenlegitimationen’ des
Gerichts durch allgemein akzeptierte Institutionen abzufangen und durch eine
‘Binnenlegitimation’, die mit einer Ausformung möglichst eigenständiger
Teilelemente verbunden war, zu ersetzen. Die erste Etablierung von weitgehend
autonomen Segmenten am Ende der 1180er Jahre und die schon extrem zu nennende
Form der Zergliederung und Beauftragung im Verfahren ab den späten 1240er
Jahren wurden als Antwort verstanden auf die nur noch sehr eingeschränkt
vorhandene Möglichkeit der Gerichte, Kaiser und Kommune als Referenzpunkte
ihres Handelns anzugeben - wobei allerdings von einer Zeitversetztheit der
Phänomene ‘Infragestellen der Institution’ und ‘Ausbildung
einer Binnenlegitimation’ auszugehen ist. Bestehen Zusammenhänge
zwischen einem starken respektive schwachen gesellschaftlich-institutionellen
Umfeld des Gerichts und einer schwachen respektive starken Binnengliederung
des Verfahrens, müßten sich ähnliche Prozeßstrukturen - je nach Zustand des
Umfeldes - auch zu anderen Zeiten und in anderen Regionen finden lassen.
Hierüber kann nur eine weitere, vergleichende Analyse der Praxis des
Gerichtswesens Aufschluß geben, die an dieser Stelle nicht geleistet werden
kann. Zumindest einige in der Literatur zu findenden Hinweise seien aber
genannt. So vermerkt schon Engelmann, daß die
‘Gutachterpraxis’, also die Hinzuziehung von iurisperiti,
im 13. Jahrhundert in den norditalienischen Kommunen besonders intensive
Verbreitung fand, während das zentral organisierte Süditalien mit seinen
‘beamteten’ Richtern dieses Rechtsinstitut kaum kannte[327].
Auch im Bereich der kirchlichen Gerichtsbarkeit fand es wenig Verbreitung[328].
Unserer These scheint allerdings zu widersprechen, daß gerade das 14. und 15.
Jahrhundert als die Blüte des Konsilienwesens in Italien gilt, obwohl man ja
zumindest für die Lombardei angesichts nicht nur der Durchsetzung, sondern
auch der festen Etablierung der Visconti spätestens zum Ende des 14.
Jahrhunderts einen Rückgang erwarten müßte. Jedoch weist Ascheri darauf hin,
daß die consiliarii zusehends weniger in Zusammenwirken mit dem
‘Amtsrichter’ das Urteil fällen, sondern das Konsilium statt
dessen zu einem Rechtsgutachten im eigentlichen Sinne wird, das Kläger oder
Beklagter direkt in Auftrag geben, um es als Argumentationsbasis vor Gericht
benutzen zu können[329].
Gerade weil hier - anders als in den Konsilien des 13. Jahrhunderts, die
zumeist nur das Urteil enthalten - juristische Argumente zusammengestellt
sind, werden Gutachten führender Juristen aufbewahrt, abgeschrieben und
schließlich sogar gedruckt[330].
Damit wären die consilia aber nicht mehr ein eigenständiger Teil eines
ausdifferenzierten Verfahrens, sondern vornehmlich Rechtshilfe der Parteien. Aufschlußreich ist in diesem
Zusammenhang die sich wandelnde Bedeutung des Notars als einmal mehr, einmal
weniger selbständiges Element in der Urkunde. Hier wurde gezeigt, daß in den
kommunalen Sentenzen bis 1211 den Notaren keine selbständige Funktion
zugewiesen wurde und der Titel notarius in der Subscriptio nicht
scharf vom iudex-Titel zu trennen war, während sich nach 1247 sowohl
der Unterzeichner wie auch der Schreiber als Notar bezeichneten, oft ohne auf
den Pfalzgrafen, den Kaiser oder die Kommune zu verweisen. Auf die Möglichkeit
der Beauftragung des Skribenten durch den Subskribenten (beides Notare) in
dieser Zeit wurde schon verwiesen. Die Signorie in Mailand griff über einen
erstaunlich langen Zeitraum weiter auf das kommunale Urkundenformular zurück
- und dies, obwohl bspw. Otto Visconti als Bischof über eine eigene Kanzlei
verfügte, in der ein ganz anderes Urkundenformular - eben der Typ der
Kanzleiurkunde - vorherrschte und etwa die Verwendung des Siegels üblich war[331].
Gerade zu Beginn der Herrschaft des Signore hätte ja eine - vielleicht erst
einmal nur zusätzliche - Plazierung des Siegels unter einer Sentenz einen
großen propagandistischen Wert gehabt. Tatsächlich findet sich das Siegel des
Signore aber erstmals 1335 neben der Unterschrift eines Notars, der
sich jetzt oft nicht mehr notarius, sondern cancellarius
nannte, bis schließlich ab 1340 die Notarsunterschrift gänzlich verschwand
und allein das Siegel dem Rechtsakt Legitimität verlieh[332].
Erst zu einer Zeit also, da die Visconti bereits mehrfach zu Reichsvikaren
ernannt worden waren und sich der Signore in der Stadt weitgehender Akzeptanz
erfreute[333],
konnte man auf ihn als legitimierende Stütze von Urkunde und Rechtsakt Bezug
nehmen. Wäre es allein um die rechtliche Absicherung im Sinne der publica
fides gegangen, hätte man das Siegel des Reichsvikars sicherlich schon
eher unter die kommunalen Schriftstücke setzen können[334].
Gegen Ende des 14. Jahrhunderts sind in der Kanzlei des Stadtherrn kaum noch
Notare, sondern nur noch sogenannte pronotarii beschäftigt, die erst
einen Teil ihrer Ausbildung abgeschlossen haben und somit - im Gegensatz zum
eigenständigen Notar in der Administration des 13. Jahrhunderts - jetzt mehr
den Typus des angestellten Schreibers verkörpern[335]. Aufgrund einer Analyse der Mailänder
Gerichtsurkunden des 12. und 13. Jahrhunderts konnte in der vorliegenden
Untersuchung eine Verbindung zwischen den allgemeinen gesellschaftlichen
Veränderungen, die die Kommunalgerichte in eine Legitimationskrise stürzten,
und der Ausbildung bestimmter Verfahrenselemente im Prozeß hergestellt
werden. Ein Vergleich mit Entwicklungen über den gewählten Zeitraum und die
gewählte Region hinaus mußte notwendigerweise kursorisch bleiben; weitere
Untersuchungen insbesondere zur Prozeßpraxis wären hier wünschenswert.
Insgesamt aber deuten sich die aufgezeigten Entwicklungslinien, d.h. die
wachsende Ausdifferenzierung der Verfahrensabläufe bei geringer Möglichkeit
der ‘Außenlegitimation’ und ein Zurückfahren der Autonomie
einzelner Gremien innerhalb des Prozeßgangs, sobald man wieder auf
akzeptierte ‘externe’ Institutionen verweisen kann, auch in einen
weiteren Horizont als Reaktionen des Gerichtswesens auf das gesellschaftliche
Umfeld an. Zwei Sentenzen aus der ersten und der
letzen Phase des hier untersuchten Zeitraumes; es handelt sich in beiden
Fällen um Dokumente, die noch im Original überliefert sind. ACM Nr. 27, 14. April 1153 Eine ‘durchschnittliche’
Sentenz aus der ersten Phase. Azo Ciceranus entscheidet zusammen mit drei
weiteren Konsuln (oben im Text genannt) im Streitfall zwischen einigen
‘milites Mediolani’, den Herren von Ardenno, und dem Kloster San
Abbondio in Como bezüglich der Ortsherrnrechte, die indirekt über Rolando
Murada ausgeübt werden. Azo und Marchisius werden ‘oben’ als
Konsul bezeichnet, unterschreiben aber ‘unten’ als iudex et
missus domni secundi Chunradi regis bzw. schlicht als iudex.
Insgesamt sind sechs verschiedene Amtsträger in der Sentenz genannt. (S M) Die martis qui est
quartusdecimus dies aprilis, in consulatu Mediolani. Breve de sententia quam
dedit Azo qui dicitur Ciceranus consul Mediolani in concordia Heriprandi
Iudicis, Roberti Pingilucchi atque Markisii Calcanioli, consulum similiter,
de discordia que erat inter milites Mediolani qui tenent Ardennum per eorum
missos Refutatum Cagalentum, Guilielmum Monetarium consules, Guasconem de
Mairola, Arzemondum de Sexto, Porrinum de Porris, Montenarium Monetarium
atque Maldotum Pedestorti, et ex altera parte domnum Adam venerabilem abbatem
monasterii Sancti Abundii. Lis enim talis erat. Dicebant ipsi milites quod
Rolandus qui dicitur de Murada de loco Talamona debebat per eos se
distringere propter districtum plebis de Ardenno quod ipsi milites ad se
pertinere allegabant, asserentes ipsum Rolandum habitatorem esse de ipso loco
Talamona qui est de plepe de Ardenno; et quod ipse locus Talamona sit de
plepe Ardenni, et quod ipse Rolandus sepenumero per eos districtus sit ipsi
milites quam plures induxerunt testes. E contra ipse abas respondebat
districtum ipsius Rolandi ad ipsos milites nullo modo pertinere, imo pro
tertia portione ad prefatum monasterium Sancti Abundii spectare affirmabat,
asserens universi loci Talamone districtum pro tertia portione ipsius
monasterii esse, reliquis duabus partibus ad monasterium Sancti Dionisii et
Landulfum Grassum atque Cadagios de Insula pertinentibus dicebat insuper
locum ipsum de Talamona non esse de plebe de Ardenno, set curtem esse; et
quod ipse locus sit curtis et quod tertia pars ipsius curtis cum districto
ceterisque honoribus ad ipsum Sancti Abundii monasterium pertineret, et quod
ipse Rolandus per abates ipsius monasterii sepenumero districtus sit, multis
testibus et instrumentis publicis ipse abas ostendebat, privilegium etiam
domni Henrici imperatoris producebat quo continebatur quod prefatus imperator
tertiam partem ipsius curtis eidem monasterio donaverat. Addiciebant insuper
ipsi milites quod domnus Cono, abas ipsius monasterii, de ipsius Rolandi
districto finem fecerat in manibus suorum consortum de Insula cum quibus de
ipso districto sub consulibus de Insula in causa fuisse dicebant; unde
similiter testes produxerunt. Quod predictus abas omnino negabat. His et
aliis hinc inde visis et auditis, et predicto Rolando coram ipsis consulibus
profitente ipsius monasterii Sancti Abundii districtabilem esse et non
ipsorum militum, et hinc inde omnibus omissis testibus, laudavit ipse Azo, si
ipse abbas per suum advocatum iuraverit quod predictus Rolandus pro tertia
portione per ipsum abatem Sancti Abundii debet se distringere iure et usu ipsius
loci, ut de cetero ipse Rolandus per ipsum abatem Sancti Abundii pro tertia
portione se distringat. Et prefatum monasterium ab ipsorum militum petitione
de districto ipsius Rolandi sit de cetero absolutum. Cumque ipse abbas per
suum advocatum paratus esset ut supra iurare, remiserunt ipsi milites ei
iusiurandum. Et sic finita est causa. Anno dominice incarnationis milleximo
centeximo quinquageximo tertio, prefato die, indicione prima. Interfuerunt
Benno de Curte, Amizo de Landriano, Azo de Axago, Peregrinus de Rode,
Codemallius de Pusterla, Oldo de Petrasancta, Otto de la Sala, Passagius,
Guifredottus Capellus, Guibertus Medicus, Monachus Gambarus, Trankerius
Baxabelleta, Bordella, Guilielmus Cassina, Bernardus Russca; de servitoribus
Anselmus de Picino, Bombellus, Iohannes Arpadore, Iohannes Guitonus, atque
Siniforte et alii plures. (S M)
Ego Azo iudex et missus domni secundi Chunradi regis hanc sententiam dedi et
subscripsi. (S M)
Ego Arialdus causidicus subscripsi. (S M)
Ego Marchisius iudex subscripsi. (S M)
Ego Dominicus iudex ac missus domni regis interfui et hanc sententiam
scripsi. ACM
sec. XIII, 2.2, Nr. 689, 7. August 1274 Der Konsul Ruffino zieht im
Rechtsstreit zwischen dem Kloster Chiaravalle und den Brüdern Rolando, Miro
und Tessari den iurisperitius Mainfredus Menclotius bei, der wiederum
Petrus de Castana als weiteren ‘Gutachter’ benennt. Im Text der
Sentenz sind – bei Ausschluß des Martino Tinctoribus olim consule
iustitie[336]
– drei Amtsträger genannt. Anders als in dem Verfahren von 1153 sitzen
sie jedoch nicht gemeinsam zu Gericht, sondern beraten getrennt voneinander
über den Fall. Typisch auch, daß ausschließlich Notare für das Unterschreiben
und Schreiben der Sentenz verantwortlich sind. (S T)
In nomine Domini. Super questione que olim vertebatur coram domino Martino de
Tinctoribus olim consule iustitie Mediolani et nunc vertitur coram domino
Roffino Anrocho nunc consule Mediolani inter Simonem de Grego sindicum
monasterii Caravalensis, nomine ipsius monasterii, ex una parte et Rollandum
et Mirum et Azelum fratres qui dicuntur Tessari de burgo Lactarella ex
altera; et in qua quidem questione libellus porrectus fuerat in hunc modum,
cuius tenor talis est: «Ego Simon de Grego sindicus monasterii Caravalensis
nomine ipsius monasterii peto quatenus Rollandus et Mirus et Azellus fratres
qui dicuntur Tesseri de burgo Lactarella in predicto nomine permittant et
restituant petiam unam terre sive campi iacentem in territorio loci de
Metono, ubi dicitur ad Sarexetum de Semeda, cui est a mane suprascripti
monasteri et in parte Petri Nechi, a meridie Sancti Celsi, a sero
suprascripti Petri et in parte de Amiconis, a monte Sancti Zeni de Decimo, et
est pertice decem; et hoc cum omnibus fructibus et expensis et damnis
preteritis et futuris suo tempore determinandis; que terra fuit Ambroxi de
Inzineriis conversi illius monasterii et modo pertinet dicto monasterio, et
hoc quia predicta facere debent et tenentur de iure, salvo iure melliorandi».
Nos predictus dominus Roffinus Anrochus, consul iustitie Mediolani ut supra,
habito consilio domini Mainfredi Menclotii iurisperiti, qui sibi adsumpsit in
socium dominum Petrum de Castana iurisperitum, qui viderunt tenorem dicti
libelli et litis contestationem factam super ipso libello per predictum Rollandum
pro se et dictis Miro et Azello fratribus suis, quorum procurator est, factam
millesimo ducentesimo septuagesimo tertio, die lune vigesimo quarto die iulli
per Guilielmum de Vedano notarium; que contestatio facta fuit cum Simone de
Grego sindico dicti monasterii, et qui viderunt cartam procurationis sicuti
dictus Rollandus est procurator dictorum Miri et Azelli fratrum suorum, et
qui viderunt testes in hac causa productos et quam plura instrumenta et iura
et acta et actitata ab utraque parte coram producta et ostensa, et qui
audiverunt et diligenter intellecxerunt allegationes utriusque partis, damus
sacramentum predicto Symoni sindico dicti monasterii vel alteri ydonee
persone ut iuret ad sancta Dei evangelia corporaliter tacta, de consensu et
volluntate capituli ipsius monasterii et maxime de consensu et volluntate
predicti fratris Ambroxi, quod in veritate dicta tota petia terre fuit
quondam Nuvireci patris predicti fratris Ambroxi conversi et quod tempore
introitus facti per ipsum fratrem Ambroxium in dicto monasterio predicta tota
petia terre erat illius fratris Ambroxi et ad eum pertinebat et spectabat. Quo
sacramento prestito, condempnamus predictum Rollandum qui litem fuit
contestatus suo nomine et nomine dictorum Miri et Azelli fratrum suorum et per
eum ipsos Mirum et Azellum ut hinc ad dies quindecim proximos dimittant et
restituant eidem Simoni nomine dicti monasterii et per cum ipsi monasterio
predictam petiam terre sive campi, salvo et reservato ipsi capitulo sive
monasterio omni iure quod eis competit in fructibus illius petie terre et in
expensis in hac causa factis. Predictus Symonus procurator dicti monasterii
Claravalensis dixit et exstimavit antequam sententia lata foret valere
predictam terram libras decem tertiolorum. Millesimo ducentesimo septuagesimo
quarto, die martis septimo die augusti, indictione secunda, dominus Ruffinus
Anrochus consul Mediolani pronuntiavit ut in sententia continetur. Interfuerunt ibi
testes Guillielmus de Caza de Onzago et Dalfinus de Mezana et Zermanus filius
Alberti de Mezana, omnes civitatis Mediolani. (S T)
Ego Albertus Moronus notarius ad sententias suprascriptarum fagiarum porte
Vercelline et Ticinensis subscripsi. (S T)
Ego Paganus de Figino notarius civitatis Mediolani porte Cumane iussu
suprascripti notarii scripsi. |
*
Quellenbasis / Abkürzungen:
Gli atti del Comune
di Milano fino all'anno MCCXVI, hg. von Cesare Manaresi,
Milano 1919 (= ACM).
Gli atti del Comune
di Milano nel secolo XIII, 1, 1217-1250, hg. von Maria Franca Baroni, Milano 1976 (= ACM sec. XIII 1).
Gli atti del Comune di Milano nel secolo XIII, 2.1, 1251-1262, hg. von
Maria Franca Baroni ‑ Roberto
Perelli Cippo, Alessandria 1982 (=
ACM sec. XIII 2.1).
Gli atti del Comune di Milano nel secolo XIII, 2.2, 1262-1276, hg. von
Maria Franca Baroni ‑ Roberto
Perelli Cippo, Alessandria 1987 (=
ACM sec. XIII 2.2).
Gli atti del Comune
di Milano nel secolo XIII, 3, hg. von Maria Franca Baroni, Alessandria 1992 (.ACM sec. XIII 3.)
[321] Zum Phänomen der ‘Zeitversetztheit’ des Rechts
Niklas Luhmann, Das Recht der
Gesellschaft, Frankfurt/M. 51997, S. 124ff.; Klaus Günther, Vom Zeitkern des Rechts, in:
Rechtshistorisches Journal 14 (1995), S. 13-35, S. 17ff.
[322] Punkt 7.2.1 ‘Die Aufteilung des Konsulats’.
[323] Punkt 7.2.2. ‘Das Notariat als zunehmend
eigenständiges Element im Prozeß’.
[324] Punkt 7.2.3. ‘Zur Funktion der iudices delegati
und consiliarii/iurisperiti’.
[325] Punkt 8. ‘Die Herstellung von Legitimität im
Verfahren’.
[326] S. dazu oben bei Anm. 284.
[327] “Von Bedeutung wurden gerichtliche Gutachten
Rechtsgelehrter nur in den Gebieten der Podestà-Verfassung ... Keine Bedeutung
gewannen sie ... in den Königreichen Neapel und Sizilien.” Hier wurde das
Urteil weiter in gemeinschaftlicher Beratung beschlossen; Woldemar Engelmann , Die Wiedergeburt der
Rechtskultur in Italien durch die wissenschaftliche Lehre. Eine Darlegung der
Entfaltung des gemeinen italienischen Rechts und seiner Justizkultur im
Mittelalter unter dem Einfluß der herrschenden Lehre der Gutachterpraxis der
Rechtsgelehrten und der Verantwortung der Richter im Syndikatsprozeß, Leipzig
1938, S. 243. Engelmann versucht dies mit dem Hinweis auf die Schwierigkeiten
der in Norditalien verbreiteten auswärtigen Richter im Umgang mit dem lokalen
Recht zu erklären; zu diesen Argumenten ausführlich oben bei Anm. .
[328] Engelmann (wie Anm. 327) S. 243.
[329] Mario
Ascheri, Diritto comune, processo
e istituzioni: ovvero della credibilità dei giuristi (e dei medici), in: Mario
Ascheri (Hg.), Diritto medievale e moderno. Problemi del processo, della
cultura e delle fonti giuridiche, Rimini 1991, S. 206ff. Ders., Rechtssprechungs- und
Konsiliensammlungen, in: Helmut Coing
(Hg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte,
Bd. 2,2, Neure Zeit (1500-1800), München 1976, S. 1113-1221, S. 1199ff.; hier
auch der Hinweis, daß die Konsilien weiter Bestandteil der statutarischen
Gesetzgebung bleiben.
[330] Mario Ascheri, The Formation of the Consilia
Collection of Bartolus of Saxoferrato and Some of His Autographs, in: Laurent Mayali / Staphanie A.J. Tibbetts (Hgg.), The Two Laws. Studies
in Medieval Legal History Dedicated to Stephan Kuttner, Washington D.C. 1990,
S. 188-201, besonders S. 196f.
[331] Maria Franca Baroni, La formazione della cancelleria
viscontea (da Ottone a Gian Galeazzo), in: Studi di storia Medioevale e di
diplomatica 2, 1977, S. 97-194, S. 104ff. Auch
die Kommune Mailand verfügte über ein Siegel, das vor allem im Briefverkehr mit
anderen Kommunen benutzt wurde. Es scheint symptomatisch, daß es nie zu einer
Verwendung dieses Symbols der kommunalen Gemeinschaft unter einer Sentenz -
nicht einmal in ergänzender Funktion - gekommen ist; Manaresi (wie Anm. *) S. XCIX. Anders die Verhältnisse in
Genua; hierzu Giorgio Costamagna,
Il notaio a Genova tra prestigio e potere, (Studi storici sul notariato
italiano 1), Roma 1970, S. 146ff.
[332] Baroni, La formazione della cancelleria viscontea (wie Anm. 331) S. 107f.
[333] Schon 1294 ernennt Adolf von Nassau Matteo Visconti zum
Reichsvikar; Heinrich VII. wiederholt diese Ernennung 1311. Als ihm der
kaiserliche Titel 1313 vom Papst streitig gemacht wird, läßt er sich
charakteristischerweise durch die Ratsversammlung der Kommune zum Signore und
Rektor Mailands wählen. Den Vikarstitel muß er 1317 auf weiters Drängen des
Papstes zurückgeben. Azzo Visconti kann sich ab 1329 Reichsvikar nennen; hierzu
Ernst Salzer Über die
Anfänge der Signorie in Oberitalien. Ein Beitrag zur italienischen
Verfassungsgeschichte, Berlin (1900),
S. 119f.; zu den Ereignissen von 1313: Francesco Cognasso, Le basi giuridiche della signoria di Matteo
Visconti in Milano, in: Bollettino storico-bibliografico subalpino 53, 1955, S.
79-82.
[334] Schon Alberto Liva
Notariato e documento notarile a Milano Dall’ Alto Medioevo alla fine del
Settecento, (Studi storici sul notariato italiano 4), Roma 1979, S. 193, weist
darauf hin, daß der Signore mit seinem Siegel die Beglaubigung der kommunalen
Dokumente durch einen Notar eigentlich überflüssig macht. Um so mehr bliebe zu
fragen, wieso dennoch über einen Zeitraum von mehr als 50 Jahren weiter auf den
Notar zurückgegriffen wurde, obwohl sowohl finanzielle wie propagandistische
Argumente dem entgegen stehen.
[335] Liva
(wie Anm. 334) S. 194f.
[336] Vgl. hierzu Punkt 3. ‘Methodisches Vorgehen: Zur
quantitativen Analyse des Quellenbestandes’, besonders bei Anm. 43.